Krankes Gesundheitssystem - Teil 7

Lesen Sie im nunmehr siebenten Teil dieser Serie die bewegenden Ausführungen von Dr. med. Verena Kuscheck aus Niesky. Sie berichtet über die immer schwieriger werdende Situation auf dem Lande.
Dr. med. Verena Kuscheck erzählt ihre Erfahrungen nach fast 20 Jahren als Hausärztin in ländlicher Region. Foto: hgb

Dr. med. Verena Kuscheck erzählt ihre Erfahrungen nach fast 20 Jahren als Hausärztin in ländlicher Region. Foto: hgb

Was muss passie­ren? Vorweg möchte ich sagen, dass ich auf jeden Fall wieder Medizin stu­dieren würde. Gerade die Richtung Allgemeinmedi­zin »Praktischer Arzt« ist nach wie vor eine dankbare Ausrichtung. Ich kann die Patienten über Jahre und Jahrzehnte begleiten. Mitt­lerweile bin ich über 20 Jahre als niedergelassene Ärztin in Niesky tätig. Da hat man natürlich schon et­liche Gesundheitsminister kommen und gehen sehen, und jeder hat versucht, sich anders zu profilieren. Aber ich habe das Gefühl, dass in der letzten Zeit immer mehr Regularien im Ge­sundheitswesen eine Rol­le spielen und dass die Selbst­ständigkeit im­mer mehr auf der Strecke bleibt. Das Problem hat sich ange­kündigt, doch niemand hat‘s gesehen: Ich bin noch ein Relikt aus der Zeit der Ärzteschwemme. 1992 bin ich mit dem Studium fertig geworden, habe dann 1998 eine Facharztprüfung für Chirurgie abgelegt und da­mit endete der Arbeitsver­trag. Als Frau und Chirurgin hatte man überhaupt keine Chance eine neue Anstel­lung zu bekommen. Da musste ich mir etwas Neues suchen, bin dann hier nach Niesky gekommen und ha­be die Praxis eines älteren Kollegen abgekauft. Was mich dann erstaunt hat: Nicht einmal fünf Jahre später kippte das Ganze und es war erstmals von einem »Ärztemangel« die Rede. Da stellt sich mir doch die Frage, ob das auch ein Politikum ge­wesen ist. Wir haben überall Statistiken und statistische Landesämter, so dass man doch sehen kann, wie die Arztzahlentwicklung ist, wie viele Kollegen in den kommenden Jahren in Ren­te gehen. Ein Arzt ist nicht in vier oder fünf Jahren »gebacken«. Es sind sechs Jahre Studium und sechs Jahre Facharztausbildung. In der heutigen Zeit kommt bei den jungen Kollegen noch die sogenannte Work-Life-Balance hinzu. Sie ab­solvieren zum Beispiel ein Auslandssemester, setzen ein Semester aus, um ihre Doktorarbeit zu schreiben oder verwirklichen ihre Familienplanung. Ehe sie wirklich der medizinischen Versorgung zur Verfügung stehen, sind sie meist 30 Jahre und älter. Das sollte man beachten und das ist eben auch das, was mich in dem Staat stört. Was muss passieren? Da sind unterschiedliche An­satzpunkte: Entbürokrati­sierung und Entbudgetie­rung. Außerdem muss man die ländlichen Gebiete at­traktiver machen. Ein Arzt auf dem Land sollte mehr verdienen können, als ein Arzt in der Stadt. Ansons­ten funktioniert das nicht, da lockt man niemanden in unsere Gegend, die land­schaftlich wunderschön so­wie abwechslungsreich ist. Letztendlich ist man als Niedergelassener auch Unternehmer, aber man bekommt von keiner Seite hier Unterstützung. Ein Beispiel: Vor zwei Jahren sind wir mit der Arztpraxis umgezogen. Wir hatten erst eine Praxis mit Treppen, da war die Stadt nicht in der Lage, uns geeignete Räum­lichkeiten – entweder mit Fahrstuhl oder barrierefrei – zur Verfügung zu stellen. Ein weiteres Problem: der Mittelstand in Deutsch­land wird zunehmend aus­gedünnt. Ich sehe mich natürlich auch als Vertreter des Mittelstandes, der entlastet werden müss­te. Da könnten wir viel mehr Arbeitsplätze schaf­fen, die Steuern würden hierbleiben, hier vor Ort. Stattdessen wandert die Jugend ab. Ein Patient hatte mal erzählt, dass er seine Tochter gefragt hat, ob sie denn nicht nach Niesky zurückkommen möchte? »Ich komme doch nicht ins Land der Rentner und Wölfe.« Das sagt doch alles. Wenn sich Bombardier und Siemens noch hier aus der Region zurückziehen, was bleibt denn dann noch? So sieht es doch mo­mentan aus: Die Älteren bleiben in Niesky und die Kinder sind schon vor Jah­ren arbeitsbedingt in die alten Bundesländer abge­wandert, werden sicherlich nicht mehr zurückkommen. Was passiert mit den »Al­ten«, wer kümmert sich noch um sie? Pflegedienste und der Arzt. Das ist schon traurig.


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