Krankes Gesundheitssystem - Teil 7
Was muss passieren? Vorweg möchte ich sagen, dass ich auf jeden Fall wieder Medizin studieren würde. Gerade die Richtung Allgemeinmedizin »Praktischer Arzt« ist nach wie vor eine dankbare Ausrichtung. Ich kann die Patienten über Jahre und Jahrzehnte begleiten. Mittlerweile bin ich über 20 Jahre als niedergelassene Ärztin in Niesky tätig. Da hat man natürlich schon etliche Gesundheitsminister kommen und gehen sehen, und jeder hat versucht, sich anders zu profilieren. Aber ich habe das Gefühl, dass in der letzten Zeit immer mehr Regularien im Gesundheitswesen eine Rolle spielen und dass die Selbstständigkeit immer mehr auf der Strecke bleibt. Das Problem hat sich angekündigt, doch niemand hat‘s gesehen: Ich bin noch ein Relikt aus der Zeit der Ärzteschwemme. 1992 bin ich mit dem Studium fertig geworden, habe dann 1998 eine Facharztprüfung für Chirurgie abgelegt und damit endete der Arbeitsvertrag. Als Frau und Chirurgin hatte man überhaupt keine Chance eine neue Anstellung zu bekommen. Da musste ich mir etwas Neues suchen, bin dann hier nach Niesky gekommen und habe die Praxis eines älteren Kollegen abgekauft. Was mich dann erstaunt hat: Nicht einmal fünf Jahre später kippte das Ganze und es war erstmals von einem »Ärztemangel« die Rede. Da stellt sich mir doch die Frage, ob das auch ein Politikum gewesen ist. Wir haben überall Statistiken und statistische Landesämter, so dass man doch sehen kann, wie die Arztzahlentwicklung ist, wie viele Kollegen in den kommenden Jahren in Rente gehen. Ein Arzt ist nicht in vier oder fünf Jahren »gebacken«. Es sind sechs Jahre Studium und sechs Jahre Facharztausbildung. In der heutigen Zeit kommt bei den jungen Kollegen noch die sogenannte Work-Life-Balance hinzu. Sie absolvieren zum Beispiel ein Auslandssemester, setzen ein Semester aus, um ihre Doktorarbeit zu schreiben oder verwirklichen ihre Familienplanung. Ehe sie wirklich der medizinischen Versorgung zur Verfügung stehen, sind sie meist 30 Jahre und älter. Das sollte man beachten und das ist eben auch das, was mich in dem Staat stört. Was muss passieren? Da sind unterschiedliche Ansatzpunkte: Entbürokratisierung und Entbudgetierung. Außerdem muss man die ländlichen Gebiete attraktiver machen. Ein Arzt auf dem Land sollte mehr verdienen können, als ein Arzt in der Stadt. Ansonsten funktioniert das nicht, da lockt man niemanden in unsere Gegend, die landschaftlich wunderschön sowie abwechslungsreich ist. Letztendlich ist man als Niedergelassener auch Unternehmer, aber man bekommt von keiner Seite hier Unterstützung. Ein Beispiel: Vor zwei Jahren sind wir mit der Arztpraxis umgezogen. Wir hatten erst eine Praxis mit Treppen, da war die Stadt nicht in der Lage, uns geeignete Räumlichkeiten – entweder mit Fahrstuhl oder barrierefrei – zur Verfügung zu stellen. Ein weiteres Problem: der Mittelstand in Deutschland wird zunehmend ausgedünnt. Ich sehe mich natürlich auch als Vertreter des Mittelstandes, der entlastet werden müsste. Da könnten wir viel mehr Arbeitsplätze schaffen, die Steuern würden hierbleiben, hier vor Ort. Stattdessen wandert die Jugend ab. Ein Patient hatte mal erzählt, dass er seine Tochter gefragt hat, ob sie denn nicht nach Niesky zurückkommen möchte? »Ich komme doch nicht ins Land der Rentner und Wölfe.« Das sagt doch alles. Wenn sich Bombardier und Siemens noch hier aus der Region zurückziehen, was bleibt denn dann noch? So sieht es doch momentan aus: Die Älteren bleiben in Niesky und die Kinder sind schon vor Jahren arbeitsbedingt in die alten Bundesländer abgewandert, werden sicherlich nicht mehr zurückkommen. Was passiert mit den »Alten«, wer kümmert sich noch um sie? Pflegedienste und der Arzt. Das ist schon traurig.