Staatssicherheitsminister Mielke und sein letztes Spiel
Staatssicherheitschef Erich Mielke wurde während und nach der politischen Wende im Osten Deutschlands zur Symbolfigur für den Kontroll- und Überwachungsstaat. Seine „Stasi“ ist nach 1989 zum entscheidenden Charakteristikum der DDR avanciert. Die Wirkungen des Spitzelapparates gingen weit über die Existenz des Staates DDR hinaus. Zwar ist die Zeit vorbei, in der sich die ehemaligen DDR-Bürger auf den Marktplätzen die Stasi-Unterlagen gegenseitig um die Ohren schlugen. Aber auch 27 Jahre nach der Auflösung des Ministeriums ist die zerstörende Wirkung dieses Überwachungsorgans bis in die Familien hinein spürbar. Erich Mielke kämpfte in Spanien. Die folgende Kriegszeit überstand er in Westeuropa. Wohl deshalb fand sein Aufstieg in den Sicherheitsorganen der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR zunächst langsam statt. Im Jahr 1957, vor 60 Jahren, hatte er es dann geschafft. Walter Ulbricht machte ihn zum Minister für Staatssicherheit. Heute soll es hier um eine ehrenamtliche Funktion des gefürchteten Stasi-Chefs gehen. Er war Vorsitzender der SV Dynamo, des Sportvereins von Polizei und Staatssicherheit, und Ehrenvorsitzender des BFC Dynamo Berlin, des Serienfußballmeisters. Einer seiner letzten Stadionbesuche führte Erich Mielke am 9. September 1989 nach Cottbus. Dort trat sein geliebter Klub am 4. Spieltag gegen die BSG Energie Cottbus an. Das Foto zeigt den Minister an der Seite von Egon Krenz beim Verlassen des Stadions der Freundschaft. Die Unzufriedenheit mit dem Ergebnis ist ihm anzusehen. Dass Krenz schadenfroh lacht, ist immerhin denkbar. Cottbus war mit neuem Selbstbewusstsein in die Oberliga-Saison 1989/90 gegangen. In der vorangegangenen Spielzeit war erstmalig mit dem Platz 10 der Verbleib in der höchsten Spielklasse gesichert worden. Und Heinz Florian Oertel fragte die Männer von Fritz Bohla dann auch in der Vorberichterstattung zum Spiel: „Warum eigentlich kein Sieg?“ Denn: „Der BFC besitzt längst nicht mehr die geschlossene Stärke vergangener Jahre...“ Jedenfalls nützte es Rudwaleit, Doll und Ernst nichts, dass ihr Chef im Stadion dabei war. Das Spiel endete 2:2 unentschieden. Der spätere „Fußballgott“ der Cottbuser, Detlef Irrgang, war der Mann der Stunde. Das Neue Deutschland schrieb: „Vier Minuten vor Abpfiff fand die hingebungsvolle Verfolgungsjagd der Energie-Elf ihren Lohn. Irrgang traf nach Pass von Vogel mit wuchtigem Schuss aus spitzem Winkel.“ Die Fußballwoche war enttäuscht von der Leistung der Berliner. Die Lausitzer Rundschau brachte das Ergebnis auf den Punkt: „Es gibt viele Fußballweisheiten. Eine davon lautet: Ein Spiel dauert 90 Minuten. Eine andere: Vergiss auch nach einer sicheren Führung nicht das Weiterspielen.“ Die Cottbuser beachteten die erste und wurden belohnt. Der BFC erhielt für den Schongang die Strafe. Kein Wunder, dass der Chef da nicht viel zu lachen hatte. Das Spiel war jedoch nicht nur wegen der tapferen Energie-Elf bemerkenswert. Die Anwesenheit von zwei Politbüro-Mitgliedern wurde weder im Stadion noch in den Medien erwähnt. Mielke und Krenz waren sozusagen Inkognito im Stadion der Freundschaft. Möglicherweise blieb die Anwesenheit des „kleinen Erich“, wie Mielke in Fußballkreisen genannt wurde, doch nicht gänzlich unbemerkt. Das Spiel begann mit einem gellenden Pfeifkonzert und setzte sich mit einer Serie von Unfreundlichkeiten gegen die Berliner fort. Der Tageskommentar hieß dann auch volkspädagogisch: „Fußball- oder Pfeifzeit?“ Wer sich an die angespannte innenpolitische Situation in der DDR im September 1989 erinnert, wundert sich möglicherweise, dass der Staatssicherheitsminister überhaupt noch Muße für seinen Fußballclub hatte. Tausende Bürger des Landes hatten sich in die westdeutschen Botschaften in Prag, Warschau und Budapest geflüchtet und andere saßen auf gepackten Koffern. In Ungarn hörte man schon damals nicht auf die Berliner Forderungen und hatte am 19. August zeitweise und am 11. September die Grenze zu Österreich vollständig geöffnet. Von jetzt an überschlugen sich die Ereignisse. Erich Mielke hatte an den kommenden Wochenenden mit anderen Dingen zu tun. Möglicherweise war das Spiel des BFC gegen Energie sein letztes als Minister. Am 7. November trat er mit der Regierung Stoph zurück und einen Monat später erfolgte die Verhaftung. Auch dem Fußballclub Mielkes bekam die Wende nicht besonders. Aus dem BFC wurde zwar flugs der FC Berlin. Am Saisonende stand allerdings Platz 5 mit sechs Punkten Rückstand hinter Meister Dynamo Dresden. Energie schaffte mit Platz 7 das beste Ergebnis in der Vereinsgeschichte. Vor den Männern aus dem Stadion der Freundschaft standen dann noch turbulente Jahre, bis mit dem Team um Geyer, Krein und Stabach das Wunder der Lausitz begann.