Der Anzeiger mobilisiert den Volkssturm
Im April 1944 hatte es in Cottbus den ersten Luftangriff gegeben. Mit vier Toten und der Zerstörung eines Lagers der Post hielten sich die Verluste in Grenzen. Zum Jahresende hin wurden die Einschränkungen der totalen Kriegsführung für die Cottbuser jedoch immer spürbarer. Der Cottbuser Anzeiger ermahnte seine Leser, zu Weihnachten keine Privatreisen durchzuführen und auf Telefongespräche zu verzichten. Um Strom zu sparen sollte keine Wäsche mehr gebügelt werden. Die Straßenbahnen nahmen LKWs ins Schlepptau. Die Lage an den Fronten war katastrophal. Im Westen und im Osten erreichten die Alliierten die Reichsgrenzen. Die Städte hatten sich in Trümmerwüsten verwandelt. Jeder sachkundige Militär wusste, dass der Krieg verloren war. Die verbrecherische Nazi-Clique versuchte mit allen Mitteln, den Untergang aufzuhalten. Um die Bevölkerung zu weiterem Widerstand zu zwingen, verbreiteten Zeitungen und Rundfunk nun Pläne der Verbündeten für Nachkriegsdeutschland. Der Cottbuser Anzeiger titelte Ende Dezember 1944: »Churchills Ost-Preußen Pläne – Massenmord – Vertreibung von Millionen«. Angedroht wurde der »Abtransport von 15 bis 20 Millionen Deutschen in das Ausland, die Versklavung des Restteils unseres Volkes … das Verhungern unserer Millionenmassen.« Und um an den Fronten und in den zerstörten Städten noch einmal die sinnlose Gegenwehr zu mobilisieren und möglicherweise die Westmächte zu einem Separatfrieden zu bewegen, musste ein Sieg her.
Angriff in den Ardennen
Die Operation »Wacht am Rhein« war der letzte Versuch Hitlers, das Blatt noch zu wenden. Die Wehrmacht griff am 16. Dezember 1944 in Belgien und Luxemburg amerikanische und britische Einheiten an und erzielte zunächst tiefe Einbrüche. Das schlechte Wetter verhinderte den Einsatz der alliierten Luftwaffe. Das Ziel, den Hafen von Antwerpen zurückzuerobern, wurde jedoch nicht erreicht. Anfang Januar, vor 75 Jahren, war die Ardennenoffensive gescheitert.
Der Cottbuser Anzeiger – inzwischen wegen des totalen Krieges auf vier Seiten reduziert – brach nach den Anfangserfolgen in Jubelschreie aus: »Die große Angriffsschlacht im Westen«, »Offensive auf 100 km Breite« und »Völlige Überraschung für den Gegner«. In der Weihnachtsausgabe lasen die Cottbuser: »Die diesjährige Weihnachtszeit steht ganz im Zeichen unserer Offensivbewegungen im Westen, der Härte und Entschlossenheit unseres Kampfes an den Fronten und in der Heimat.« Durch die »Totalmobilisierung« sollte es zur Aufstellung neuer Divisionen und zur „Anfertigung neuartiger Waffen« kommen. Dazu wäre allerdings ein »neuer Lebensstil im Innern, verbunden mit der Beiseiteschiebung aller Bequemlichkeiten, verbunden mit Einschränkungen auf allen Gebieten unseres öffentlichen und kulturellen Lebens« notwendig. Ansonsten folgte auch der Anzeiger den bewährten Regeln der Kriegspropaganda: Cottbuser Frauen feiern mit Verwundeten Weihnachten im Reservelazarett in der Bahnhofstraße, Cottbuser Männer erhalten das Ritterkreuz oder das EK I. Immer wirkungsvoll sind notleidende Kinder. Hier allerdings half die Volksgemeinschaft. Cottbuser Kinder erhielten im Kinderlandverschickungslager auf dem »Bunten Teller« 225 g Zuckerwaren und 70 g Feigen.
»Dein Stolz, der Volkssturmmann«
Anfang Januar 1945 rief der Cottbuser Kreisleiter der Nazipartei zum »Volksopfer für Wehrmacht und Volkssturm« auf. Dabei ging es um die Sammlung von Bekleidung und Ausrüstungsgegenständen für den Volkssturm, einer Truppe von Kindern und Männern unter 60. Sammelstellen in der Zimmerstraße, in der Sprem, in der Dresdener Straße und in der Kaiserstraße (heute Rudolf-Breitscheid-Str.) warben mit dem Spruch: »Damit Dein Stolz, der Volkssturmmann / in Uniform sich zeigen kann, / räumst Du jetzt alle Truhen leer / und bringst uns alle, alles her!«. Ende Januar war der
Propagandarausch, den die Anfangserfolge der letzten Offensive in den Medien ausgelöst hatte, verflogen. Für die Cottbuser wurde es nun bitterernst. Beim zweiten Luftangriff am 15. Februar starben fast tausend Einwohner. Zerstört wurden 145 Betriebe und 356 Häuser. 3?600 Wohnungen waren beschädigt und 13?000 Einwohner obdachlos. Aber noch
waren die Schrecken für die Cottbuser nicht vorbei. Vor der heran-
nahenden Roten Armee wurde die Stadt zur Festung erklärt. Der Volkssturm baute Panzersperren. Durch den Branitzer Park zog man Stacheldrahtverhaue. Das alles konnte die Eroberung durch sowjetische Truppen nicht aufhalten. Die damit verbundenen Kämpfe vollendeten jedoch das Vernichtungswerk.