»Sensationeller Ausgang der ersten freien Wahl«
Mitte März 1990 ging der Wahlkampf in der Noch-DDR seinem Höhepunkt entgegen. Auf den Abstimmungszetteln zur ersten freien Wahl der Volkskammer standen im Bezirk Cottbus 22 Parteien und Listenvereinigungen. In den Wahlveranstaltungen, im inzwischen ganz munteren DDR-Fernsehen, aber auch in den Kassenschlangen und an Haltestellen diskutierten die Menschen über die Zukunft des kleinen Landes. Die Bürgerbewegungen wollten eine erneuerte, demokratische DDR und eine vorsichtige Annäherung an den anderen deutschen Staat. Der saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine, der noch 1989 im Haus der NVA gesprochen hatte, sagte für den Fall einer schnellen Vereinigung den wirtschaftlichen Kollaps der DDR voraus. Die Allianz für Deutschland, das Bündnis von Ost-CDU, DSU (CSU-Variante in der ausgehenden DDR) und Demokratischem Aufbruch orientierten auf eine rasche Wirtschafts- und Währungsunion, wie sie Bundeskanzler Kohl seit Februar propagierte.
Auch in Cottbus schlug der Wahlkampf hohe Wellen. Hier hatte der Runde Tisch inzwischen für eine spürbare Stabilität gesorgt. Oberbürgermeister Waldemar Kleinschmidt berief mit dem Grünen Harald Wilken einen Vertreter der Bürgerbewegungen in die hauptamtliche Verwaltung. Für gute Stimmung sorgten die Männer um Fritz Bohla im Stadion der Freundschaft. In den beiden Spielen vor dem Wahltermin am 18. März besiegten sie Hansa Rostock und ertrotzen beim DDR-Serien Meister BFC ein Unentschieden.
Kohl spricht vor über 50?000 auf dem Oberkirchplatz
Bundeskanzler Helmut Kohl berichtete US-Präsident Bush in der Woche vor den Wahlen in der DDR, dass er sich »in sechs Versammlungen an über eine Mio. Menschen gewandt habe.« Zu dieser Serie von Wahlkampfauftritten gehört auch die Kohl-Rede auf dem Cottbuser Oberkirchplatz am 13. März 1990. Die Lausitzer Rundschau berichtete so: »Mit einem Meer von schwarz-rot-goldenen Fahnen und zahlreichen Transparenten mit Aufschriften wie ›Für einig Vaterland im Haus Europa‹ und ›Helmut, zieh durch‹, bereiteten mehr als 50?000 Menschen am Dienstagnachmittag auf dem Cottbuser Oberkirchplatz Bundeskanzler Helmut Kohl einen begeisterten Empfang.« Die Wahlversprechen des West-CDU-Chefs stellten auch in Cottbus die Weichen für die Wahlen fünf Tage später. Kohl kündigte »im Falle einer Währungsunion“ die Umstellung der »Konten der kleinen Sparer im Verhältnis 1:1« an. Und: »Die durch den Strukturwandel freiwerdenden Arbeitskräfte werden nicht arbeitslos.« Was wollte man da noch mehr? Die Cottbuser sangen am Ende die dritte Strophe des Deutschlandliedes und bezeichneten den Träger der DDR-Fahne als »Rote Sau«.
Den treffendsten Kommentar zu der fünf Tage nach der Cottbuser Kohl-Rede folgenden Wahl schrieb der (frei gewählte) Chefredakteur der Lausitzer Rundschau. Sieger sind danach jene, »die von der Bundesrepublik am massivsten unterstützt worden sind.« Auch die Verlierer nannte Wolfgang Nagorske: »Ich meine, die Zahlen spiegeln Gewicht und Verdienste der Bürgerbewegungen nicht wider. Waren es doch vor allem sie, die im Herbst 89 auf der Straße die Wende einleiteten.«
Die Wahlergebnisse
Und wie sahen diese Ergebnisse der Wahlen aus? Am Abend des 18. März war der Traum von einem alternativen Weg eines demokratischen ostdeutschen Staates mit einer neuen Verfassung ausgeträumt. Die Mehrheit wünschte sich nicht Basisdemokratie und eine solidarische Gesellschaft, sondern wollte Teilhabe an der bunten Konsumgesellschaft. Die CDU erreichte 40,8 %, mit den 6,3 % der DSU also
47,1 %. Die SPD kam auf bescheidende 21,9 %. Zwei Ergebnisse dieser ersten freien Wahlen überraschten die Menschen hüben und drüben. Die PDS endete nicht, wie von Kohl prognostiziert, »weit abgeschlagen«, sondern erreichte mit 16,23 % einen achtbaren dritten Platz. Geradezu marginalisiert fanden sich die Bürgerbewegungen, die Initiatoren der friedlichen Revolution, am Wahlabend wieder.
Unmittelbar im Wahlkreis Cottbus sahen die Ergebnisse ähnlich aus. Bei einer hohen (nie wieder erreichten) Wahlbeteiligung von 91,47 % erreichte die CDU 33,3 %, die PDS belegte mit 27 % Platz 2, gefolgt von der SPD mit 22 %. In Anbetracht des ruppigen Wahlkampfes wandte sich OB Kleinschmidt an seine Cottbuser: »Schon in der nächsten Woche beginnt die Vorbereitung der Kommunalwahl. Hoffen wir, dass dann, wenn es um die konkrete Geschichte unserer Stadt, um die Zukunft unseres Cottbus geht, wieder etwas leisere und versöhnlichere Töne im Wahlkampf angeschlagen werden.« Die Parteien und die Bürger der Stadt blickten jetzt auf den 6. Mai.