Cottbuser Demokratieübungen am Runden Tisch
Von den ersten großen Cottbuser Demonstrationen am 30. Oktober und am 6. November gingen 1989 starke Impulse für die Demokratieentwicklung der Stadt aus. Fünf Wochen später wählten die Abgeordneten auf einer Sondersitzung des Stadtparlaments einen neuen Oberbürgermeister. Karl Moik verbreitete bei der Übertragung des »Musikantenstadls« aus der Stadthalle die Nachricht, dass Cottbus als erste Stadt in der DDR einen neuen Verwaltungschef hatte. OB Waldemar Kleinschmidt wandte sich zu Weihnachten an die Cottbuserinnen und Cottbuser und sprach von den großen Erwartungen der Menschen. Die Versorgung und die gesundheitliche Betreuung waren zu sichern. Durch die Auflösung von Dienststellen verloren erstmals Menschen ihren Arbeitsplatz. Notwendig waren Lösungen für den Thälmann-Platz und den Busbahnhof. Wie aber sollten Entscheidungen demokratisch legitimiert werden, wenn es berechtigte Zweifel an den Ergebnissen der Wahlen gab und Neuwahlen noch Zeit brauchten? Das Zauberwort hieß zum Jahreswechsel 1989/90 »Runder Tisch«. Die Idee des Runden Tisches kam aus Polen. In einer akuten Schwächephase des dort herrschenden undemokratischen Systems setzte die Bewegung von Lech Walesa im Januar 1989 mit dem Runden Tisch ein Gremium durch, an dem die alten, nicht demokratisch gewählten Vertreter des Staates und die neuen, noch nicht demokratisch gewählten Kräfte gemeinsam berieten. Mit der Etablierung von Runden Tischen begann in Polen, dann in der DDR und kurz darauf auch in der CSSR, Ungarn und Bulgarien eine kurze Periode der Doppelherrschaft.
Am Runden Tisch für Cottbus gestritten
Der Zentrale Runde Tisch tagte in Berlin erstmalig am 7. Dezember. Unmittelbar darauf bildeten sich diese Gremien im Bezirk und in der Stadt. Nach enttäuschenden Anläufen formulierten das Neue Forum und der Demokratische Aufbruch als grundsätzliche Zielstellungen für die Arbeit am Runden Tisch die »Trennung von Partei, Staat, Wirtschaft und Gesetzgebung«, die Auflösung von Betriebsparteigruppen, die »Offenlegung des SED-Vermögens« und die Enteignung der SED-Zeitungen. Für alle neuen Bewegungen sollten Räume und Arbeitsmöglichkeiten geschaffen werden.
Der zweite Runde Tisch der Stadt Cottbus beriet am 28. Dezember im Haus des Kulturbundes in der Bahnhofstraße. Diesmal versammelten sich neben den alten Parteien auch die SPD, das Neue Forum, der Demokratische Aufbruch, die Unabhängige Fraueninitiative und die Freidenker. Eine gründliche Vorbereitung sorgte für einen besseren Start.
Als Moderator fungierte der Cottbuser Generalsuperintendent Reinhardt Richter. In den folgenden fünf Monaten erwies sich der Kirchenmann als ausgesprochener Glücksfall für Cottbus. Mit unerschütterlicher Ruhe, mit dem Blick für das wirklich Wichtige und ohne jeden Anflug von Eitelkeit und eigenen Ambitionen steuerte er gemeinsam mit Kleinschmidt die Geschicke der Stadt bis zur Wahl eines legitimierten Parlaments.
Vorbereitung von freien und geheimen Wahlen
Am Runden Tisch trafen jene Cottbuser zusammen, die maßgeblich die Geschicke der Stadt in den ereignisreichen Wochen 1990 bestimmen sollten: Der Bergbauingenieur Werner Labsch, das Gesicht der SPD in diesen Tagen, der Hochschullehrer Dr. Klaus-Peter Schupp von der CDU, der Gründer des Cottbuser Demokratischen Aufbruchs Dr. Wolfgang Bialas und Markus Derling vom Neuen Forum. Mit welchen Themen beschäftigten sich die Cottbuser bei den insgesamt elf Beratungen des Runden Tisches? In erster Linie ging es um die Vorbereitung der Volkskammerwahl am 18. März und der Kommunalwahl am 6. Mai 1990. Der Runde Tisch entwickelte ein Konzept zur Nachnutzung frei werdender Gebäude. Auf diese Weise erhielt die Stadt Cottbus ihr Rathaus zurück. Das Gremium musste zu völlig neuen Erscheinungen Stellung nehmen. Im Winter 1990 gab es in Cottbus Streiks. Bombendrohungen verunsicherten die Menschen. Gerüchte von einer bevorstehenden DM-Einführung und dem Wegfall von Subventionen führten zu einem starken Abkauf von Konsumgütern. Das Bürgerkomitee zur Stasi-Auflösung berichtete am Runden Tisch. Ja, sogar die Gründung einer Medizinischen Fakultät an der noch nicht existierenden Universität wurde hier besprochen. Mit der Wahl der neuen Stadtverordnetenversammlung und der Wiederwahl von OB Kleinschmidt endete die Geschichte des Runden Tisches in Cottbus.
Kaum jemand ahnte, dass wenige Wochen später 5?000 Textilarbeiterinnen in die »Kurzarbeit Null« geschickt wurden und ein Strukturwandel begann, der wohl das Leben aller Cottbuserinnen und Cottbuser berührte.