Die Bürger der DDR machten im Sommer 1990 Erfahrungen, die vielen Westdeutschen bis zum März 2020 erspart blieben. Das Virus Covid-19 hat das geändert. Die weltweite Pandemie führte zu großen Verunsicherungen. Klare Gewissheiten verschwanden. Liebgewordene Gewohnheiten und Selbstverständlichkeiten lösten sich binnen weniger Tage auf. Wird man seinen Arbeitsplatz behalten? Reicht das Geld bis zum Monatsende? Muss man Notvorräte anlegen? Kann man im Sommer eine Urlaubsreise planen? Den meisten Ostdeutschen war diese chaotische Gefühlswelt nicht ganz unbekannt.
Im Sommer 1990, vor 30 Jahren, bewegten sie ähnliche Fragen. Die deutsche Einheit stand bevor. Tamara Danz sang vom »Traumpaar des Jahrhunderts/Die Schlampe und der Held«. Sozusagen als Verlobung trat am 1. Juli 1990 die »Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik« in Kraft, in deren Folge ein einheitliches Währungsgebiet mit der Deutschen Mark als gemeinsamer Währung entstand. Wie sah es in diesem Frühsommer in Cottbus aus?
Cottbus nach der Kommunalwahl
In der Antrittsrede nach seiner Wahl am 26. Mai schätzte Oberbürgermeister Waldemar Kleinschmidt die Situation in der Stadt realistisch ein: »Umwandlungen volkseigener Betriebe in Kapitalgesellschaften, das Überschwemmen des Marktes mit westdeutschen Produkten und die Suche nach finanziell potenten Partnern bestimmen die Lage ebenso, wie das Ansteigen der Arbeitslosigkeit. Mit dieser verbreiten sich Unsicherheit und Existenzangst. Gerüchte und Halbwahrheiten verstärken die Sorgen der Menschen. Die ungeklärte Rechtslage nutzen einheimische und auswärtige Hasardeure zu Spekulationsgeschäften.« Andererseits blickten die Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung auf Monate guter Zusammenarbeit am Runden Tisch zurück. Hier waren Weichen für die Zukunft gestellt worden.
Cottbus überstand die Wendemonate mit einer intakten Verwaltung. Die Forderungen auf den Cottbuser Montagsdemonstrationen hatten sich allerdings im Verlaufe des Frühlings grundlegend geändert. Es ging nicht mehr um eine reformierte DDR. Bundeskanzler Helmut Kohl, der die deutsche Einheit und die Einführung der D-Mark versprochen hatte, wurde am 13. März auf dem Oberkirchplatz wie der Messias begrüßt. Hauptthema der Gespräche bei den Montagsdemonstrationen, in der Gartenkneipe und der Einkaufsschlange war fortan der Umtauschkurs. Auch die Währungsexperten diskutierten diese Frage. Nicht der Schwarzmarktkurs gab damals Auskunft über den wirklichen Wert der DDR-Mark, sondern die Aufwendungen der Betriebe im Außenhandel. Die Kombinate der DDR erzielten in den Jahren 1987 bis 1989 für eine aufgewendete Mark im Export 0,23 DM. Das sagt allerdings nicht viel über die Kaufkraft im Inneren. Alles Lebensnotwendige war vergleichsweise billig, meist stark subventioniert. Entsprechend tief in die Tasche greifen musste der DDR-Bürger für höherwertige Konsumgüter. Als reine Binnenwährung konnte man mit der DDR-Mark im Ausland gar nichts anfangen.
Umtauschvorbereitungen und Italia 90
Kohl hatte in Cottbus davon gesprochen, dass die »Konten der kleinen Sparer« 1:1 umgetauscht werden könnten. Im Juni wurde dann klar, dass »kleine Sparer« Leute waren, die 4 000 Mark besaßen. Summen darüber wurden halbiert. Im Juni lief dann die Vorbereitung der Währungsumstellung unter Federführung der Cottbuser Sparkasse. Jeder Einwohner, Frau, Mann (je 4 000 M), Kind (2 000) und Rentner (6 000), musste ein Umstellungskonto einrichten. Sofort begann innerhalb und außerhalb der Familien ein lebhafter Austausch auf den Konten, um einen günstigen Effekt zu erreichen.
Die ganze Aufregung verdeckte im Juni und Juli die Fußballweltmeisterschaft in Italien. Die DDR war schon in der Vorrunde ausgeschieden. Einen Ausrutscher der Bundesdeutschen wie 1974 konnte es also nicht geben. Außerdem fühlte man sich fußballmäßig hier schon als Bundesbürger. Energietrainer Fritze Bohla kommentierte in der Lausitzer Rundschau den Weg der Argentinier und Deutschen ins Finale.
In den letzten Tagen vor dem Stichtag 1. Juli gab es zahlreiche Notkäufe. Nicht Toilettenpapier, sondern Lebensmittel waren gefragt. In Cottbus und Berlin klagten die Kaufhallenleiter: »Der extreme Abkauf hält an. Die Leute greifen mitunter zu sieben Broten. Wenn sie noch warm sind, werden‘s mehr.«
Von der Not der ausländischen Vertragsarbeiter, von der großen Reisewelle in den Süden und vom Schicksal der Cottbuser Betriebe erzählen wir beim nächsten Mal.