Cottbus zwischen zwei Landtagswahlen

- Vor 5 Jahren -
Von populistischen Sprüchen auf Wahlplakaten haben die Cottbuser vorläufig genug. Foto: Lew.

Von populistischen Sprüchen auf Wahlplakaten haben die Cottbuser vorläufig genug. Foto: Lew.

Das Wahlverhalten der Cottbuser hat sich in den vergangenen fünf Jahren spürbar geändert. Bei den Landtagswahlen 2014 gab es noch eine heile Welt. Die Cottbuser Wahlkreise wurden von Michael Schierack (CDU) und Kerstin Kircheis (SPD) gewonnen. Die Ergebnisse in unserer Stadt wichen von den Zahlen im Land ab. Die CDU war in Cottbus stärker als in Potsdam. Und die Gewinne der AfD fielen in Cottbus kleiner aus (Brandenburg 12,2 %, Cottbus 10,7 %)! Fünf Jahre später erfüllten die Wähler den (scheinbar) wichtigsten Wunsch der Politiker: Sie gingen zahlreich an die Urne. Die Wahlbeteiligung - vor fünf Jahren noch unter 50 % - wuchs um bis zu 15 % an, in einigen Innenstadtwahllokalen erreichte sie fast 75 %. Allerdings gingen am 1. September 2019 in den vier Wahlkreisen von Cottbus und Spree-Neiße drei Direktmandate an die AfD. Was in Potsdam gerade noch verhindert wurde, ist im Süden des Landes Realität: Die AfD ist die stärkste Kraft. Diese Ergebnisse wurden in den letzten Tagen analysiert. Nun liegt die Deutungshoheit über die Geschehnisse aber nicht bei den Ostdeutschen. Keines der wichtigen Medien dieses Landes hat seinen Sitz im Osten. Journalisten aus Berlin, Hamburg, Frankfurt und München sind sich einig: »So isser, der Ossi!« Fusionen, Verlegungen und viele Versprechungen Warum nun haben so viele Brandenburger und Sachsen die AfD gewählt, in Südbrandenburg fast ein Drittel? Die Mehrheit der Cottbuser AfD-Wähler wünschte sich sicherlich keinen Ministerpräsidenten dieser Partei. Eher war es ein Protest gegen die Politik der angestammten Parteien. In den vergangenen Jahren kamen aus Potsdam etliche Hiobsbotschaften in die Niederlausitz. Die Zentrale des Cottbuser Olympiastützpunktes ging nach Frankfurt/Oder. Das Cottbuser Polizeipräsidium wurde gestrichen, die Oberfinanzdirektion verschwand. Block F des Kraftwerks Jänschwalde überführte man in die Sicherheitsreserve, sprich: er wurde abgeschaltet. Vorläufiger Höhepunkt war die Zwangsvereinigung der Hochschule Lausitz und der Brandenburgischen Technischen Universität. Dass zu guter Letzt die Kreisgebietsreform und damit der Verlust der Kreisfreiheit abgewandt wurden, haben die Cottbuser einzig sich selbst zu verdanken. Laut und eindringlich machten sie darauf aufmerksam, dass die Kreisfreiheit eine historische Errungenschaft ist und keine Manövriermasse. Dann kam die Europawahl im Mai mit dem AfD-Wahlsieg. Auf einmal überschütteten Potsdam und Berlin die Lausitz mit Wohltaten. Wohlgemerkt, es waren Willenserklärungen, Ankündigungen und Versprechen. Medizinische Fakultäten, Bundesbehörden, Institute, ja, das ganze Kulturministerium sollten nach Cottbus. Warum, so fragt sich der brave Cottbuser, hat man das nicht früher getan? Welche Versprechungen werden eingehalten? Hoffen wir, dass wenigstens Einiges umgesetzt wird. Die Menschen hier hätten es sich verdient. Denn die Cottbuser und ihre Kommunalpolitiker haben für die Zeit zwischen den beiden Landtagswahlen durchaus eine positive Bilanz zu ziehen. Der Strukturwandel wurde auf den Weg gebracht. In den Bürgerdialogen kamen die Cottbuser zu Wort. Mit dem CO2-freien Quartier am Cottbuser Ostsee gibt es eine interessante Zukunftsvision. Der erstmals genehmigte Haushalt spricht für eine solide Finanzpolitik. »Gutmenschen« und »Besorgte Bürger« Eine Ursache für die große Zahl der Protestwähler ist wohl auch die undifferenzierte Beschimpfung der Ostdeutschen. Diese sind in ihrer übergroßen Mehrheit nicht fremdenfeindlich. Sie erregt aber die Langmut, mit der der deutsche Rechtsstaat auf Regelverstöße reagiert und die Tatsache, dass von den Schutzsuchenden wenig eigene Integrationsanstrengungen verlangt werden. Auch in Cottbus haben zwei Wörter die Diskussion vergiftet. Als sich freiwillige Helfer aufopferungsvoll um Flüchtlinge kümmerten, bemühten Empathielose das Spottwort »Gutmensch«. Wie gleichgültig muss man sein, um über Güte und Mitmenschlichkeit zu spotten! Aber ebenso giftig ist das Schimpfwort »Besorgte Bürger«. Es hat viel dazu beigetragen, dass die etablierten Parteien weniger Zustimmung erhielten. Die Menschen in diesem Land haben Grund, besorgt zu sein. Sie fragen sich, ob bald auch in der Zahnklinik oder beim Notar mit Quereinsteigern zu rechnen ist. Über die Probleme mit den neuen Nachbarn und über die Situation auf Spielplätzen und in Klassenzimmern konnten die Cottbuser mit Oberbürgermeister Kelch, Stadtverordnetenvorsteher Drogla und GWC-Chef Kunze reden. In den Medien fanden sich diese Sorgen kaum wieder.


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