Erste Theaterbesprechung
»Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent.« Das schrieb Goethe in einem Gedicht, nachdem ein Kritiker seinen »Götz« analysiert hatte. Nur 17 Jahre nach dem Tod des Dichterkönigs wurde die Theaterkritik auch in Cottbus heimisch. Am 8. Oktober 1849, vor 170 Jahren, erschien im Cottbuser Anzeiger, damals noch unter dem Namen „Anzeiger für Kottbus und Umgebung“, die erste Besprechung eines Theaterstücks. Für Schauspiel und Musik gab es Mitte des 19. Jahrhunderts in Cottbus noch kein festes Haus. Wandertruppen, als Gegenstück zu den Hoftheatern entstanden, machten hier Station und spielten in Gasthäusern. Das wachsende Interesse ergab sich aus der Entwicklung der Stadt, den Unterhaltungs- und Bildungsbedürfnissen seiner Einwohnerschaft. Dass die ersten Theaterbesprechungen allerdings so üppig ausfielen, über mehrere Seiten gingen, hat noch einen weiteren Grund. Der Anzeiger stellte sich seit Herbst 1848 während der bürgerlichen Revolution ziemlich deutlich auf die Seite des liberalen Bürgertums. Das rief den konservativen Landrat Ernst von Schönfeldt auf den Plan. Er forderte in zwei Drohbriefen den Cottbuser Magistrat auf, dem recht fortschrittlichen Blatt wegen der »aufreizenden Tendenz« die städtischen Anzeigen zu entziehen. Deshalb musste Verleger Albert Heine politische Enthaltsamkeit geloben und improvisieren. Es reichte aber nicht, Hinweise zum guten Betragen im entstehenden Branitzer Park zu geben. Mit interessanten Beiträgen über das Gastspiel der Schiemangschen Truppe flüchtete er vorübergehend ins Unpolitische. Nachbarstädte mit mehr Kunstsinn Carl Schiemang gastierte mit seinem Theater im Herbst 1849 in Cottbus. Der Prinzipal gab das Hotel „Goldener Ring“ als seine Adresse an. Vermutlich war es auch der Aufführungsort. »Je toller, je besser!«, eine Posse in fünf Akten, hieß das erste Stück. Danach spielt das Ensemble bis Anfang November fast jeden Tag. Zu »Der Heiratsantrag von Helgoland«, »Kabale und Liebe« und »Leonore und das Ende des Siebenjährigen Krieges« wurden die Cottbuser durch Annoncen im »Kottbuser Wochenblatt«, der Konkurrenz des Anzeigers, eingeladen. Die Rezensionen brachte dann Heines Blatt. Beide, die Aufführungen und die Besprechungen, hatten durchaus Niveau. Der Theaterkritiker (unterzeichnet mit A. R.) nahm sich zuerst »Muttersegen oder die neue Fanchon«, ein französisches »Schauspiel mit Gesang«, vor. A. R. schrieb: »Der Totaleindruck dieser Vorstellung auf uns war ein nur günstiger – das Ensemble vortrefflich – die Garderobe, zumal bei den Damen, geschmackvoll und die Dekorationen sehr leidlich.« Bei der »Grabesbraut, dramatisches Gemälde von Bahrdt« lobte er überschwänglich: »Wahrlich, diese ausgezeichnete Darstellung hätten wir nicht erwartet.« Unzufrieden war der Kritiker mit dem Orchester, welches aus Cottbus angemietet war, und mit dem Publikum. Es störte „durch sehr übel angebrachtes Lachen den Gang des Stücks«. Kritik an den Cottbusern äußert A. R. auch bei der Aufführung des »Pfarrherrn« von Charlotte Birch-Pfeiffer (Heine, Wintermärchen, Caput XI). Durch das Stück »rauscht der Flügelschlag des gewaltigen Zeitgeistes«. »Wie traurig, dass ein so vortreffliches Werk vor so einem kleinen Publikum über die Bretter ging.« Deshalb verlangte A. R. von den Bürgern: »Befreiet Cottbus von dem ihm oft gemachten Vorwurf, es hätte keinen Sinn für Theater und Musik, und tretet nicht hinter Nachbarstädte zurück, die, bei geringerem Wohlstande, wahrlich mehr Kunstsinn offenbaren.« Rezensionen erschienen nicht Mit geistreichen Besprechungen versuchten sich in den Cottbuser Blättern in den folgenden Jahrzehnten etliche Kunstfreunde. Manche dieser Kritiken erreichten eine gewisse Berühmtheit. Im Frühjahr 1989 erlebte Volker Brauns »Übergangsgesellschaft« am Cottbuser Stadttheater ihre Premiere. Dort reden Anton Tschechows »Drei Schwestern«, von Braun in die vom Niedergang bedrohte DDR geholt, über ihre Siege, Niederlagen und Sehnsüchte. Nach den Aufführungen gab es spannende Zuschauerdiskussionen. Die zustimmende Besprechung von Roland Dreßler traute sich die Lausitzer Rundschau damals nicht zu drucken. Sie erschien mit einem halben Jahr Verspätung zwei Tage vor der großen Demonstration am 30. Oktober. Heute geht das schneller. Zur jüngsten Premiere lasen die Cottbuser schon am nächsten Tag: »Das Warten auf den Sturm (und Wasser) ist der offene Schluss eines Stückes, über dessen Qualitäten diese Uraufführungsinszenierung noch nicht hinreichend Auskunft zu geben vermochte.«