D-Mark in Sicht – Wahlvorbereitungen in Cottbus

- Vor 30 Jahren -
Werner Labsch, das Gesicht der SPD am Runden Tisch, Handzettel zur Wahl. Abb.:Stadtarchiv Cottbus

Werner Labsch, das Gesicht der SPD am Runden Tisch, Handzettel zur Wahl. Abb.:Stadtarchiv Cottbus

Laut dem Protokoll eines Telefongesprächs mit dem kanadischen Premierminister Brian Mulroney charakterisier­te Bundeskanzler Helmut Kohl am 21. Februar 1990 die Lage in der DDR so: »Nach Weihnachten sei der Zusammenbruch des ganzen Regimes erkennbar geworden. Die Staatsautori­tät sei praktisch nicht mehr vorhanden. Die Regierung könne nichts mehr durchsetzen. Von den 15 wichtigsten Leuten der früheren Führung stünden 10 unter Anklage. Die Wirtschaft bre­che zusammen.« Das sah in Cottbus doch etwas anders aus. Die Wahl Waldemar Kleinschmidts zum amtierenden Oberbürgermeister stabilisierte die Verwaltung. Mit dem Runden Tisch entstand ein Machtorgan, das im Februar und März in der Stadt erstaunlich an Autorität gewann und Zentrum der Wahlvorbereitung wurde. Den beiden Moderatoren dieses Gremi­ums, Generalsuperintendent Reinhardt Richter und dem OB, gelang es, Vertrau­en zu schaffen und in Cottbus schon vor den geplanten Kommunalwahlen, deren Termin am 6. Mai nun feststand, kommunale Selbstverwaltung zu praktizieren. Arbeitslosigkeit, Stasiauflösung und Rathausumzug Natürlich gab es im Vorfrühling 1990 auch in Cottbus brennende Pro­bleme. Reinhardt Richter erinnerte sich an »das neue Phänomen der Arbeits­losigkeit«, an »erste Drogenfälle«, an »Bombendrohungen gegen öffentliche Einrichtungen« und an »das allgemeine Gefühl der Verunsicherung.« Das Beun­ruhigendste war sicherlich die schnell ansteigende Arbeitslosigkeit. In der Stadt gab es im Februar 1382 Arbeits­suchende. Und zu diesem Zeitpunkt hatte noch kein Cottbuser Großbetrieb Arbeiter entlassen. Ihre Arbeitsstellen verloren Hochschulabsolventen, die aus aufgelösten Verwaltungen kamen. Der Runde Tisch unterstützte das Vor­haben des Rates, ein unabhängiges, schlagkräftiges Arbeitsamt einzurich­ten und forderte die Beteiligten auf, dafür die Voraussetzungen zu schaffen und »kooperativ mit dem Rat der Stadt zusammenzuarbeiten.« Im Gebäude der ehemaligen Bezirksleitung der SED in der Bahnhofstraße nahm das Amt bald seine Arbeit auf. Thema am Runden Tisch war auch die Auflösung der Dienststellen des Ministeriums für Staatssicherheit am Nordrand und am Gerichtsplatz. Das Bürgerkomitee erhielt deshalb bera­tende Stimme am Runden Tisches und berichtete regelmäßig. Weit in die Zukunft reichte das Thema Nachnutzung freiwerdender Immobilien. Große Gebäudekomplexe wurden damals freigezogen. Der Rat des Bezirkes, dessen Schicksal ja im März generell in den Sternen stand, hatte bei seiner Bildung 1952 die Stadtverwal­tung aus dem Neuen Rathaus verdrängt. Jetzt gab es die einmalige Chance, dass die Stadt ihr Rathaus zurück erhält. Der noch bestehende Bezirksrat sollte in die ehemalige Stasi-Zentrale am Nordrand ziehen. Der Umzug der Stadtverwaltung in das Neue Rathaus kam dann schon im Frühjahr 1990 in Gang. Noch wusste man in der Verwaltung und am Run­den Tisch nichts von den Ansprüchen früherer Alteigentümer. So musste der Vorschlag des Runden Tisches, im Interimsrathaus in der August-Bebel-Straße Stadtmuseum und Stadtarchiv unterzubringen, wegen der Ansprü­che der Knappschaft bald aufgegeben werden. Der Plan, in der ehemaligen Bezirksparteischule eine Medizinische Akademie zu begründen, war damals auch nicht realisierbar. Anregung aus Montreuil Inzwischen sah auch ein alter Bekann­ter nach den Dingen in Cottbus. Anfang Februar 1990 besuchte Jean-Pierre Brard, der Bürgermeister der Partner­stadt Montreuil, die Niederlausitz. In einer Gesprächsrunde mit dem Runden Tisch warnte das Mitglied der National­versammlung vor »einem deutschen Einheitsstaat nach westdeutschem Wirtschaftsmuster«. Die entscheidenden Weichen für das neue Deutschland wurden aber nun in Bonn gestellt. Mit Gorbatschow war man sich weitgehend einig. Die DDR-Vertreter kamen als Bittsteller in die westdeutsche Hauptstadt. Zunächst nur in vertraulichen Dokumenten, aber ab Anfang März auch in öffentlichen Reden des Kanzlers, tauchte der Be­griff »Wirtschafts- und Währungs­union« auf. Das änderte die Schwer­punkte der öffentlichen Diskussion. Sprach man bei den Montagsde­monstrationen vorher über Freiheit und einen erneuerten Sozialismus, trat nun die Perspektive des westli­chen Gebrauchtwagens oder gar der Mallorca-Urlaub in den Mittelpunkt. Zum Thema Nummer 1 avancierten die verschiedenen Möglichkeiten der Umstellung der DDR-Währung zur D-Mark. Damit verbunden wa­ren auch in Cottbus Angstkäufe. So begann Anfang März die heiße Pha­se des Wahlkampfes für die Wahlen zur Volkskammer unter massiver Einmischung westdeutscher Politi­ker und Medien.


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