

Wenn sich ehemalige DDR-Bürger über die Vergangenheit unterhalten, dann stehen Geschichten über das Einkaufen und die häufig ausgeklügelten Beschaffungsstrategien ganz oben. Man erinnert sich an Wartezeiten auf alles Mögliche, auf Auto, Farbfernseher und Tiefkühltruhe sowie an den abendlichen Kampf um einen Einkaufswagen in der Kaufhalle. Auf den Dacia, einen rumänischen Nachbau des Renault 12, konnten sich die Liebhaber 15 Jahre freuen. Beim Farbfernseher Colorett dauerte es nur sechs Monate. Gegenstand deftiger Witze war das häufige Fehlen von Toilettenpapier. Die kleinen Ketchup-Fläschchen galten quasi als Drittwährung, nach DDR-Mark und Forum-Schecks. Selbstverständlich führte der geübte Einkäufer immer ein Netz mit sich, denn man kaufte nicht, wenn man etwas brauchte, sondern wenn es verkauft wurde. Ständige Kontaktpflege zum Antiquariat, zur »Jenny Marx« und zum Musikpavillon war unerlässlich. Und um an die Stereo-Hifi-Anlage S3000 zu kommen, musste der Kunde über gute Beziehungen verfügen. Obwohl die Grundversorgung funktionierte, steigerte die häufige Zugehörigkeit zu einer sozialistischen Wartegemeinschaft nicht das Vertrauen in die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der DDR. Wie den Mangel verwalten? Die Verwaltung des Mangels war dann auch eine zentrale Frage in der DDR. Mit der Initiative Konsumgüterproduktion wurden die großen Kombinate gezwungen, nebenbei Produkte für den Bevölkerungsbedarf herzustellen. Noch früher, Mitte der Fünfziger, ging es um die Frage, ob private Einzelhändler und Gastwirte neben den sozialistischen Handelsorganisationen Konsum und HO eine Perspektive hätten. Zuvor gab es schon Enteignungen, so auch bei der Aktion Rose, bei der 1953 Hotels, Erholungsheime, Taxi- und Dienstleistungsunternehmen verstaatlicht wurden. Auf der 3. Parteikonferenz der SED 1956 übte Walter Ulbricht Kritik an der Versorgung der Bevölkerung mit Waren und Dienstleistungen. Danach entstand der sogenannte Kommissionshandel. Das Neue Deutschland erklärte seinen Lesern: »Diese Handelsform, private Einzelhändler als Kommissionshändler des volkseigenen Großhandels wirken zu lassen, ist eine ganz neue Erscheinung.« Beim Kommissionshandel schließen private Einzelhändler und Gastwirte »... Verträge mit sozialistischen Einzelhandelsbetrieben ab. Die Waren bleiben Eigentum des sozialistischen Handels; zur Deckung des Aufwandes sowie Erzielung eines angemessenen Gewinnes beim Ein- und Verkauf der Waren erhält der Kommissionshändler eine vertraglich vereinbarte Provision.« Zerna, Musik-Biller und Beichers Bierstuben In Cottbus schlossen zuerst Gotthold Zerna und sein Sohn Hans-Ulrich einen Kommissionsvertrag ab und sicherten so die Fortexistenz des Lebensmittelgeschäfts in der Berliner Straße gegenüber dem Rat des Bezirkes (heute Rathaus). In dem stadtbekannten Laden mit den hohen Regalen und den großen Gläsern für Bonbons und Zuckerschlangen gab es manche Rarität, die der gewiefte Händler für seine Kunden auftrieb. Tiefkühlkost war dort zu haben und auf dem Weg ins Bildungszentrum kauften hier die Schüler ihre Leckereien. Zerna blieb nicht allein. Im Mai 1958, vor 60 Jahren, meldete die Lausitzer Rundschau, dass es gelungen sei, weitere private Einzelhändler und Inhaber von Gaststätten für den Abschluss eines Kommissionsvertrages zu gewinnen. »In der Stadt Cottbus gibt es gegenwärtig zehn Kommissionäre.« Zerna folgten Keibs, Lehmann, Pohl und Scherres. Kommissionshändler wurde Eisenwaren-Hilpert, Schuhgeschäft Eymer, Bürobedarf Hundsdorfer, Kohlehandlung Noack und Musik-Biller. »Auch der erste Abschluss eines Vertrages mit einem Gastwirt soll in den nächsten Tagen erfolgen, und zwar will Herr Schenker in der Mühlenstraße künftig auf Kommissionsbasis arbeiten.« Gemeint ist die traditionsreiche Gaststätte Beichers Bierstuben von Alfred Schenker, Versammlungslokal vieler Cottbuser Vereine. Die privaten Händler und Gastwirte brachten etwas Farbe in das bescheidene Angebot. Insgesamt stabilisierte sich Ende der Fünfziger der Einzelhandel. Der Wegfall der Lebensmittelkarten, die Vereinheitlichung der Preise von HO und Konsum und der Fortbestand des privaten Sektors bei Handel und Handwerk ließen das Einkaufen etwas leichter werden. In der Sprem hing 1958 die Losung: »Die Bockwurst nur noch achtzig – die Republik, die macht sich!« Das war lange vor der Zeit von Delikat, Exquisit und Intershop, die viel dazu beitrugen, dass die Bindewirkung zum Staat DDR trotz Olympia-Medaillen und Kosmonauten nicht sehr groß war.