

Das Wetter war Ende Januar 1884 in Cottbus alles andere als angenehm. Von Winter keine Spur, Regen ohne Ende. Am Tag stieg die Temperatur bis auf 8,5° C an. Am 24. Januar sprach der Cottbuser Anzeiger von einem „furchtbaren Sturm, welcher heute hauste“ und der „eine Anzahl fataler Unfälle im Gefolge“ hatte. Am folgenden Tag kam es allerdings schlimmer. Am 25. Januar 1884, vor 135 Jahren, explodierte in der Bellevuestraße 157 (heute Bautzener Straße) der Dampfkessel in der Tuchfabrik von Georg Voigt. Nun waren Arbeitsunfälle in dieser Phase der industriellen Revolution auch in Cottbus keine Seltenheit. Schon 1876 kamen bei der Detonation des Dampfkessels der Tuchfabrik Valte drei Arbeiter ums Leben. Die Situation der Arbeiterschaft in der Stadt unterschied sich nicht wesentlich von der Analyse des jungen Friedrich Engels in „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“. Die Arbeitszeit betrug zwölf Stunden. Die unhygienischen Wohnverhältnisse demoralisierten. Maßnahmen zum Arbeitsschutz spielten noch lange eine untergeordnete Rolle. Mit der in der neueren Geschichtsschreibung hoch gelobten sozialen Ader der Cottbuser Textilunternehmer war es soweit nicht her. Der Kessel explodiert Dampfkesselexplosionen gehörten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu den häufigsten Unfällen. Noch unmittelbar vor der Katastrophe in der Bellevuestraße hatte der Cottbuser Anzeiger auf ein amerikanisches Patent hingewiesen, bei dem mit Hilfe der „Elektrizität“ Druck und Temperatur im Dampfkessel gemessen werden konnten. Diese Technik war in der Tuchfabrik Voigt nicht vorhanden. Aber nicht nur das: Der besagte Kessel war gebraucht gekauft und nicht regelmäßig überprüft. So nahm das Schicksal seinen Lauf. Der Cottbuser Anzeiger berichtete: „Ein furchtbarer Unglücksfall hält seit gestern Abend 5 1/2 Uhr unsere Bevölkerung in Aufregung. Kurz vor der angegebenen Zeit erschreckte uns ein dumpfer Knall; die in der Bellevuestraße und Umgebung in den Häusern befindlichen Personen vermuteten ein starkes Erdbeben. Bald wurde die Feuerwehr alarmiert und es stellte sich heraus, dass in der Voigtschen Fabrik eine Dampfkesselexplosion stattgefunden hatte. Dies traurige Ereignis hat leider nicht wenige Opfer verlangt.“ Das stattliche Gebäude der Tuchfabrik befand sich in der Bellevuestraße 157 - 159, ungefähr dort, wo auf der anderen Straßenseite heute die Inselstraße und die Parzellenstraße in die Bautzener Straße einmünden. In den Annalen der Cottbuser Feuerwehr ist die Rede von einem „schauerlichen Bild der Verwüstung, das jeder Beschreibung spottete“. Und weiter: »Der Dampfschornstein und das Kesselhaus waren vom Erdboden verschwunden, die übrigen Gebäude der betreffenden Grundstücke waren in der erheblichsten Weise beschädigt und teilweise vollständig zertrümmert.“ Der umgestürzte Schornstein zerstörte andere Gebäude. „Ein Stück des explodierenden Kessels, ca. 20 Ztr. schwer, war über das fünf Stockwerke hohe Fabrikgebäude geflogen, hatte dann in einer Entfernung von ca. 200 Schritt das Dach eines Wohnhauses und einen Teil des Giebels zertrümmert.“ Die Bilanz des Cottbuser Anzeigers: Vier Tote, (nach anderen Angaben fünf) darunter drei Arbeiter und ein Passant. „Zu diesen treten fünf Schwerverwundete“, zumeist „Schädelbrüche“ mit „wenig Aussicht auf Genesung“. Ursache: Mangelhafter Zustand des Kessels Der überlebende Maschinenführer Riedel sagte später, dass er ein eigentümliches Sausen wahrgenommen hätte und darüber Meldung machen wollte. Da explodierte der Kessel. Er sei von unten aufgerissen und oben zum Dach herausgeflogen. Fabrikant Voigt erklärte: „Nach der letzten Ausbesserung des Kessels ist derselbe von Herrn Baurat Frick abgenommen worden.“ Das sahen die Fachleute vom Dampfkesselrevisionsverein anders. Die Zeitschrift des Vereins Deutscher Ingenieure veröffentlichte deren Untersuchungsbericht. Danach war der zehn Meter lange Kessel gebraucht gekauft. Ein Attest über eine innere Revision fehlte, „und wahrscheinlich hat solche Revision gar nicht stattgefunden.“ Als Ursache der Explosion ist deshalb „der mangelhafte Zustand des Kessels zu betrachten“. Zum Zeitpunkt der Katastrophe gab es noch keine Unfallversicherung. Sie wurde im Deutschen Reich im Zuge von Bismarcks Sozialgesetzgebung erst im Verlauf des Jahres 1884 eingeführt. Anders als bei der ein Jahr zuvor begründeten Krankenversicherung zahlten dafür allein die Arbeitgeber in die neuen Sozialkassen ein. Für die Opfer der Kesselexplosion gab es noch keine staatliche Hilfe.