Möglich macht dies das Inklusionskonzept des 1. Wassersportvereins Lausitzer Seenland. Am Geierswalder See ist eine Gruppe Segler vom 1. Wassersportverein Lausitzer Seenland (WSVLS) ins Gespräch vertieft. Jede freie Minute verbringen sie im Geierswalder Revier. Doch nicht jeder von ihnen ist so stabil, wie es scheint.
Elsterheide. Seit 2013 hat sich der WSVLS der Einbeziehung von Menschen mit Behinderung verschrieben. Im Februar 2016 führte der Verein seinen ersten Inklusionsbrunch durch. Vier der etwa 200 Sportler leben und trainieren mit einer körperlichen Besonderheit.
Kaum eine Geschichte erzählt so deutlich vom Wankelmut der Lebenslinien wie die von Maik Aberle. Der 51-jährige Finanzdienstleister aus Schwepnitz träumt davon, auf Ski über steile Abfahrten zu jagen. Doch wenn er sich aus dem Kreis der Freunde löst und auf den Treppenstufen hinunter zum Hafen vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzt, wenn er hochkonzentriert nur noch den schmalen Steg im Fokus hat, dann gibt Maik Aberle sich zu erkennen. Er breitet die Arme aus und hebt den Kopf, um den Blick von den Wellen zu trennen. Das sanfte Hin und Her könnte ihm den Verstand rauben, ihn in die Fluten stürzen lassen und den einen falschen Atemzug provozieren, der ihm die Lebensrhythmen rauben würde. Darum geht Maik Aberle langsam in die Knie, legt sich auf den Bauch und zieht sich zentimeterweise zu den Seilen, die seine kleine „Ostwind“ der Klasse 2.4 mR am Ufer halten. Maik Aberle weiß, dass er beobachtet wird. Und er setzt auf diese stille Sicherheit, die auf jene Hilfestellung verzichtet, die ihn seine Autonomie kosten würde.
Die Eigenständigkeit ist Maik Aberles oberstes Gebot, seit er im Spätsommer 2012 nach einem schicksalhaften Unfall mit ungeklärter Ursache leblos aus dem Wrack seines Wiesmann Roadsters/Coupe MF 4 gezogen wurde. Es war eine Probefahrt zum dritten Reparaturversuch desselben Fehlers, sagt Aberle. Um die Folgen des Schädelhirntraumas der Stufe III zu demonstrieren, braucht er nur zu versuchen, auf dem rechten Bein zu springen oder den rechten Arm zu drehen. Sobald sein Gehirn die Bewegung organisieren möchte, verlässt den athletischen Mann die Körperbeherrschung. Unter größter mentaler Anstrengung findet er zu sich zurück.
„Ich habe bei diesen Anfällen keinerlei Schmerzen“, relativiert Aberle das Phänomen, das Folge des Verlustes von 80 Prozent seines „Arbeitsspeichers“ ist. Die gesamte rechte Körperseite müsse er über das Bewusstsein steuern, erklärt Aberle und lacht. Wenn er lachen kann, ist seine Welt in Ordnung. Dann spricht er ohne zu stocken.
Sollte er aber beim blinden Tasten nach den Seilen doch ins Wasser fallen, kann Maik Aberle gewiss sein, dass seine ‚un-heimlichen‘ Beobachter zur Stelle sind. So wie an jenem stürmischen Sommertag, als die Vereinskameraden Björn Krause und Hagen Busch voller Sorge mit dem Motorboot zur Ostwind hinaus fuhren.
Der Inklusionsbeauftragte des Vereins, Clemens Kraus, hat das Kielboot organisiert. „Es ist sehr geeignet für Rollstuhlfahrer und Menschen mit Gleichgewichtsstörungen. Der Kiel macht es unkippbar und spezielle Schwimmkörper unsinkbar“, lobt Aberle sein Sportgerät, aus dem den vermeintlichen Rettern pure Lebensfreude entgegenschlug. Denn wenn Maik erst einmal im Boot sitzt, vergisst sein Körper, was er nicht kann.
Inklusion bedeutet, Bedingungen – auch Strömungen und Gegenwinde – so zu nutzen, dass die Mannschaft im anvisierten Hafen ankommt. So hat es der 1. WSVLS in seinem Handlungskonzept „Wir sind Wir. Inklusion im Segelsport“ festgeschrieben.
Vom Miteinander sollen Segler mit und ohne Handicap profitieren. „Maik kann kaum einschätzen, was er uns mit seinem Kampfgeist zurück gibt“, sagt Björn Krause. Es sei kein Mitleid im Spiel, hebt der Vorstandsvorsitzende Klaus Wiegmann hervor. „Im Grunde hilft man ihm nicht. Man ist einfach mit ihm zusammen“, sagt er. Das ist ganz im Sinne von Aberle. Wenn er Hilfe brauche, nehme er sie gerne und dankend an. „Aber ewige Hilflosigkeit ist keine Option“, sagt Aberle. Damit ist er beim WSVLS gut aufgehoben. 2016 machte Aberle als Vorschoter bei Clemens Kraus auf der Sonar seine ersten Regatta-Erfahrungen. „Klaus Wiegmann nahm sich trotz seiner vielen Aufgaben die Zeit, mir bei der Ergründung der 2.4 zu helfen“, erinnert er sich. Seinen ersten Solo-Törn begleiteten die Freunde mit dem Schlauchboot, natürlich in 20 Meter Abstand. So viel Feingefühl habe er selten erlebt, sagt Maik Aberle.
Im September 2016 brachte er vom 9. Prien City Cup am Chiemsee als Debütant gleich Platz 20 mit nach Hause. Zuletzt segelte Aberle im Oktober mit Jürgen Brietzke und Daniel Bauer als „Wir sind Wir“-Team bei der sächsischen Vereinsmeisterschaft. So wächst auch die offizielle Wahrnehmung für das Projekt „Wir sind Wir“. 2015 gewann der WSVLS damit den Vereinswettbewerb für Chancengleichheit. 2017 wird der Verein das Projekt „Champ for Inclusion“ starten, das olympische und paralympische Athleten mit Sportlern mit Behinderung zusammenbringt. Und auch mit dem Inklusionszentrum für Segler mit und ohne Handicap geht es weiter voran.
Mandy Fürst