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Als Harrys Aktivist-Amazonen die Liga aufmischten

Ohne Harry Grätz hätte es den Frauenfußball in Hoyerswerda nicht gegeben. Zumindest nicht schon 1971.

Hoyerswerda. Damals steckte die auch bei Frauen beliebte Sportart nämlich noch in den Kinderschuhen. Erst wenige Vereine republikweit hatten Mannschaften in einen regionalen Spielbetrieb geschickt. Dass auch Aktivist Schwarze Pumpe da mitmischen sollte, ist Harry Grätz zu verdanken. Oder besser: seinen Töchtern.
Es muss irgendwann im Frühjahr 1971 gewesen sein, als der Schnee getaut war und die Spiellust erwachte. „Eines Tages kam meine Tochter hoch in die Wohnung und sagte, ich solle aus dem Fenster schauen“, erinnert sich Harry Grätz, damals 39. „Tatsächlich standen da zwei Hände voll Mädels, die ich trainieren sollte. Meine Töchter flehten mich an.“
Gegen den Willen seiner Frau legte der dreifache Vater los, kämpfte um einen Trainingsplatz bei Pumpe-Manager Klaus Nadge. 
Und er besorgte sich Fußball-Lektüre, Trainingspläne, Bälle, erwarb sich das nötige Rüstzeug im Selbststudium. 
Ende Juni 71 dann das erste offizielle Spiel, eine 0:8-Klatsche gegen die Mädels von Fortschritt Spremberg. Drei Monate später stiegen Harrys Aktivist-Amazonen in die Bezirksliga Cottbus ein, bestritten Spiele gegen Haidemühl, Briesen, Branitz oder Finsterwalde. 
Der E-Lokfahrer aus dem Tagebau löste damit einen regelrechten Boom aus. „Ich hatte manchmal so viele Mädels zum Training, dass ich gar nicht wusste, wohin mit denen. Zeitweise hatten wir sogar eine zweite Mannschaft.“ Die erste Formation räumte schon vier Jahre nach Gründung ihren ersten Bezirksmeistertitel ab. „Ab diesem Zeitpunkt waren wir akzeptiert“, sagt der Trainer. „Sicherlich gab es noch immer viele Männer, die uns belächelten. Doch auch diese Kerle lunschten heimlich beim Training...“                 
Es folgten noch mehrere Titel, Turniersiege, sogar Fahrten zu den landesweiten Ausscheidungen der DDR-Besten. „Die Begeisterung war riesig, der Zustrom an neuen Spielerinnen enorm. Und mein Gott, ja, die Mädels konnten auch saufen! Vor allem nach Auswärtsspielen.“ Und singen: Einige Ladys erfanden sogar einen eigenen Song („Pumpe, Pumpe, ei, ei, ei! Schuss, Tor, Sieg, wir sind dabei“).
In der Wendezeit hatte der Coach plötzlich Probleme, eine Mannschaft vollzukriegen. „Die Mädels hatten andere Sorgen, viele zogen weg.“ Und so endete die Ära des Frauenfußballs Anfang 1991. 
Aber nur vorerst. Denn heute kicken die Mädels beim Hoyerswerdaer FC wieder um Tore und Punkte.
Harry Grätz genießt in Hoyerswerda seinen Lebensabend und geht alles ein wenig geruhsam an. Aber Fußball fesselt ihn immer noch. Da lehnt er sich in seinen Lieblingssessel und genießt im Fernsehen die Fußballspiele. Die Nachbarn bewundern den alten Herren, der fit wie ein Turnschuh trotz des hohen Alters seine Spaziergänge macht. Am Donnerstag, 6. April, wurde der Vater des Frauenfußballs von Hoyerswerda 85 Jahre alt. Glückwunsch, Harry Grätz! 
Werner Müller


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