Carola Pönisch

Tom Reichel: "Endlich wieder Normalität"

Tom Reichel ist Schuhverkäufer in Teilzeit und nebenberuflich Sänger aus Leidenschaft. Doch weder Schuhe verkaufen noch Konzerte geben sind seit Wochen möglich. Vom Kurzarbeitergeld ist gerade mal die Miete bezahlt. Warum der sympathische Dresdner dennoch nicht aufgibt.
Hofft auf einen baldigen Neustart. Foto: Pönisch

Hofft auf einen baldigen Neustart. Foto: Pönisch

Es sprudelt nur so aus ihm heraus, klare, schnelle, kluge Worte, leidenschaftlich und empathisch. Aber irgendwie auch traurig. Denn der 48-Jährige ist einer, der immer eine Bühne braucht – ganz gleich ob er Kunden beim Schuhkauf berät oder Schlager singt. Einer der es liebt, wenn sich Kunden und Fans an und mit ihm (er)freuen. Doch diese Bühnen, die sind eben gerade unbesetzt. Unfreiwillig, denn seit Wochen herrscht Lockdown. Im Laden und in der Kulturszene. Und Tom muss zusehen, wie er vom Teilzeit-Kurzarbeit Null-Geld sein Leben bestreiten kann, ohne gänzlich zu verzweifeln. »Ohne meine Familie und Freunde würde ich das gar nicht schaffen, da ginge nichts mehr«, sagt er. Zur Musik kam Tom Reichel über Karaoke. Da war er um die 20 und lebte in Leipzig. Eines Tages entdeckte ihn Mariano Stecker: »Was für eine tolle Stimme.« Der Musikproduzent schrieb Reichel erst einen Song und gründete mit ihm später das Duo »Tomcat«. Etwa drei Jahre waren die Beiden dann in Mitteldeutschland auf Festen und Feiern in Dörfern und Städten unterwegs, mit englischen Titeln und oft verglichen mit Modern Talking. Seinen ersten Plattenvertrag als Solosänger erhielt Reichel dann Anfang der 2000er vom Hamburger Produzenten Peter Sebastian. Da war ihm längst klar, dass er seine Songs selbst schreiben und komponieren und dass er Deutsch singen will. 2006 verschlug es Reichel dann nach Dresden. »Meine Wahlheimat, hier gehe ich nicht mehr weg«, weiß er längst. Hier hatte er sein erstes Solokonzert in der Gartenkneipe »Fortschritt«, hier fand und heiratete er seine große Liebe und hier bot und bietet ihm Zora im Carte Blanche immer wieder eine Bühne, wo Reichel mittlerweile ein Programm zeigt, das seine musikalische Laufbahn widerspiegelt. »Dass Zora mir diese Chance gab vor sechs Jahren, das war ein Meilenstein«, sagt er. Mittlerweile hat Tom Reichel um die 300 eigene Songs im Repertoire, allein153 davon bei Amazon abrufbar, fünf Soloalben und viele Singles. Und eigentlich könnte es für ihn so gut weiterlaufen, wenn da nicht diese Leere, diese verordnete Starre wäre. »Wann ich das letzte Mal auf einer Bühne stand? Das war am 14. März, zwei Tage vorm ersten Lockdown«. Am 16. März schloss dann auch das Schuhgeschäft in der Altmarkt Galerie, in dem er seinen Lebensunterhalt verdient. Fast ein Jahr ist das jetzt her. Der Sommer brachte ihm zwar stundenweise seine »kleine Bühne« Verkauf wieder, aber keine Auftritte. Doch Tom will nicht allzu sehr jammern. »Ich bin halt ins Netz abgewandert, wie so viele Künstler, gebe jetzt online Konzerte«, sagt er. Drei waren es bisher, von seinen Fans dankbar angenommen. Und damit sie weiter zu ihm stehen und er nicht vor lauter Langeweile auf dumme Gedanken kommt, schreibt er jeden Monat einen neuen Song. »Sieben sind es bisher geworden, alle kostenlos arrangiert von meinem Produzenten Marcel Linke«, sagt er stolz. Trotzdem: So toll die sozialen Medien auch sind, das Live-Gefühl eines Auftritts geben sie nicht. »Ich hoffe, das Leben geht bald wieder normale Wege. Wir alle brauchen doch Kultur.«


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