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Was machst du gerade?
Julia Thonig: Ich koche mein wohlverdientes Trekking-Abendessen (lacht). Vor ein paar Stunden stand ich mit meinem 17 Kilogramm schweren Rucksack und Kameraequipment auf meinem ersten 5.000er Berg, die gigantische Andenkulisse um mich herum. Wie genau ich das mit dem Gewicht in der dünnen Luft hier hoch geschafft habe? Ich schätze gute Akklimatisierungstouren und ich trage öfter mal so viel Gepäck in den Alpen für mein Hobby Höhlenforschung mit mir herum. Diese Vorerfahrungen gaben mir ein unvergessliches Erlebnis und Freiheitsgefühl.
Was hat dich in die Anden verschlagen?
Aktuell lebe ich in Peru in einer Andenkleinstadt, und damit meine ich so richtig Leben mit den Einheimischen. Für diesen Lebensstil arbeite ich als digitale Nomadin, mache Filmschnitt für Kunden. Und in der Freizeit gehe ich hier wandern, mit den Peruanern draußen klettern oder treffe mich auch mal mit Freunden auf einen Pisco Sour. Mein Ziel ist es, so richtig in das südamerikanische Leben einzutauchen und die Kultur besser zu verstehen. Und nebenher mache ich mit meinem Filmmaterial eigene YouTube-Videos oder Dokumentarfilme.
Deine Mutter meinte zu mir, du seiest früher eher schüchtern und sehr ruhig gewesen. Und jetzt tourst du so einfach durch die Welt und verbringst auch die Nächte draußen?
Ich finde, man muss überhaupt nicht extrovertiert sein, um allein durch die Welt zu reisen. Neugier, Abenteuerlust und ein bisschen Mut reichen vollkommen aus. Das ist bei mir ein innerer Drang, den ich nicht abschalten kann. Und eigentlich ist man auch nie allein, man hat ständig neue, spannende Begegnungen mit Einheimischen und anderen Reisenden. Fremdsprachen öffnen auf jeden Fall viele Türen für neue Freundschaften. Aktuell integriere ich mich eher in den Alltag hier in Peru. Wobei ich weiß, dass die Peruaner mich für verrückt halten, da Frauen hier normalerweise nicht allein wandern, geschweige denn draußen übernachten. Alle wollen mir immer gleich helfen, es ist gar nicht so leicht, seine Unabhängigkeit zu erklären.
Jedenfalls bewältigt man beim Reisen immer neue Herausforderungen, wird kommunikativer und so langsam verstehe ich die Welt durch all diese Erlebnisse und Begegnungen immer besser. Dieses Gefühl will man nicht mehr hergeben.
Das klingt nach einer sehr befreit und selbständig gewordenen Persönlichkeitsentwicklung. Hast du das nach deiner Ausbildung zur Illustrationsdesignerin gebraucht?
Das war eher ein langer Prozess. Illustration habe ich studiert, da ich immer gezeichnet und bereits als Jugendliche Kinderbücher und Animationsfilme entwickelt habe. Nach meinem Abschluss habe ich dann eine Pilotepisode für eine Kinder-Abenteuerserie produziert. Das hieß im Grunde fünf Jahre Bild für Bild zeichnen und Teammanagement in der Freizeit. Zu dem Zeitpunkt war da noch nichts mit Klettern, Höhle oder langen Reisen. Ich war komplett karrierefokussiert und habe mich von der Grafik- und Produktionspraktikantin zur Produktionsleitung für zwei Kinderserien in einem Animationsstudio in Stuttgart hochgearbeitet.
In dieser Zeit reifte auch eine Entscheidung in dir?
Ja. Um am Ende festzustellen, dass mich die ganze Computerarbeit nicht glücklich macht und ich lieber raus in den Dschungel will, die Geheimnisse unserer Welt erkunden und anderen Menschen ihre Schönheit zeigen muss. Also irgendetwas in mir hat bereits vor acht Jahren diesen inneren Abenteurer-Drang gehabt, nur habe ich es erstmal wie gewohnt zeichnerisch umgesetzt und es hat seine Zeit gebraucht, bis ich letztendlich selbst losgezogen bin.
Eines deiner nächsten Ziele ist die Arbeit in einer Vogelzuchtstation im Urwald.
Das sehe ich selbst als meine Lebensaufgabe, eine eigene Vogelstation im Regenwald in Südamerika. Ich züchte seit mehreren Jahren Wellensittiche und meine Jugend bestand aus Papageienbüchern und Fachliteratur über Verhaltenspsychologie. Meine Vorbilder waren keine großen Künstler, sondern Zoologen, die Papageien im Urwald studieren und Arten retten.
Warum ist dir das so wichtig?
Der Gedanke an den schwindenden Regenwald tut mir sehr weh. Ich habe viele Dokumentationen im Fernsehen geschaut und mein Zimmer hing voll mit Postern von Vögeln statt irgendwelchen Boybands. Lange Zeit wollte ich Biologin oder Vogeltierärztin werden. Einen Berufswechsel hatte ich nach der Illustration sogar nochmal erwogen, aber inzwischen bin ich der Meinung, dass ich es beim Hobby belasse und lieber auf meinen Reisen Erfahrungen und Kontakte sammle, um eben eine solche Station errichten zu können. Neulich war ich das erste mal im Amazonas und ich fühle mich da pudelwohl und angekommen. Scheint also der richtige Weg zu sein.