Birgit Branczeisz

Der Kasper, der schon dem König frech kam

Dresden. Die Freunde der Puppentheatersammlung starten ihre einzigartige Aktion "Kopf-Patenschaft", um Charakterköpfe zu restaurieren.

Präsentation des restaurierten Lorgie-Kaspers durch Oberkonservator Lars Rebehn und Depotverwalterin Alexandra Löser.

Präsentation des restaurierten Lorgie-Kaspers durch Oberkonservator Lars Rebehn und Depotverwalterin Alexandra Löser.

Bild: Branczeisz

Lars Rebehn war froh, dass dieser Kasper so urtümlich zerschlissen aussah. Aus dem Mund eines Oberkonservators sollte man anderes erwarten, aber der Lorgie-Kasper ist eine Kostbarkeit und bis weit in die 1960er Jahre hinein war es eben üblich, Marionetten einfach neu anzumalen, wenn die Farbe blass wurde. Nicht selten wurde die Drahtbürste genommen und die alte Farbe abgekratzt. Heute undenkbar. Doch restaurieren wie wir es heute kennen, war damals nicht üblich. Dabei erzählen gerade "kaputte" Puppen viele Geschichten. Dieser hier ist von Franz Anton Lorgie und hat von 1790 bis 1952, als er in der DDR Berufsverbot bekam, klein und groß, arm und jung auf der Bühne beglückt.

20 Farbschichten wurden am Kopf der Marionette entdeckt und auch sie erzählen eine Geschichte. Zur Zeit der ersten Schichten gab es noch keine Anilinfarben, erst 1840 setzte die Ära der Chemiefarben ein.  In den letzten sieben Farbschichten gab es plötzlich andere Wärmewerte, die Puppenspieler mussten  auf die neumodische elektrische Beleuchtung reagieren, die es seit 1920 gab. Aus unzähligen Details vermuten die Restauratoren, dass diese Kasperpuppe bereits aus der Anfangszeit der Bühne, um 1790 stammt. Sein Schöpfer

Franz Anton Lorgie – dessen Grab sich übrigens seit 1853  auf dem alten katholischen Friedhof in der Friedrichstadt befindet - gründete sein Theater 1790. Wiederholt spielte er vor dem sächsischen Hof. Briefwechsel zeigen, der König hat sich bitten lassen, dafür huldvoll die Erlaubnis zu erteilen, gehörte ihm als König doch das Hoftheater und dort ging die Zahl der Zuschauer merklich zurück, wenn Lorgie in der Stadt gastierte. Puppentheater war damals Erwachsenentheater und dazu für jedermann. Schon Heinrich Kleist soll den Lorgie-Kasper gesehen haben, als er in Dresden weilte.

Angeblich sind Lorgie schon damals für seinen Kasper 1.000 Taler geboten worden – er lehnte ab. Lorgie-Puppen sind für ihre sehr fein geschnitzten Körper bekannt und sie sind als eine der ersten als Fadenmarionetten zu spielen, denn bis dahin steckte im Kopf der Puppen ein Eisenstab, was sie im Spiel weniger filigran machte.  

Ob es wirklich DIESER Lorgie-Kasper war, der heute der Puppentheatersammlung Dresden alle Ehre macht, wer weiß. "Das ist das große Geheimnis", so Lars Rebehn, "denn Lorgie besaß zwei Kasper." Herausgekommen ist das in einer Vorstellung 1816 in der Friedrichstadt. Da musste der Kasper laut Textbuch miauen. In der ersten Reihe saß ein Fabrikant mit seinem Pudel und es kam wie es kommen musste:  Der Kasper miaute, der Pudel sprang auf die Bühne und fledderte den Kasper. Ohne Kasper keine Vorstellung – doch da öffnete sich der Vorhang und ein zweiter Kasper sprach, sein Bruder sei von den wilden Tieren zerfleischt worden und nun müsse er den Part übernehmen.

Als der Lorgie-Kasper in den 1990er Jahren erstmals restauriert wurde, war tatsächlich der Kopf total zerdrückt. Damals habe allerdings niemand geschaut, ob es Spuren von einem Hund gab, erzählt Rebehn. Das Textbuch dazu fehlte, so kam niemand auf diese Begebenheit.

Nach dem Tod von Franz Anton Lorgie 1853 führte seine Witwe das Theater bis 1877 weiter. Dann wurde es verkauft und in Teilen bis 1952 bespielt, bis die DDR-Staatsführung dem kecken herumkaspern ein Ende setzte. Erhalten sind bis heute etwa 20 Bühnenkollegen des Lorgie-Kaspers, darunter Charaktere wie der Teufel und zwei Rokoko-Tanzpaare, die sich im Kreise drehen und allerlei Kunststückchen zeigen.

Doch der Kasper ist von jeher DIE Figur im Herzen der Menschen . Warum?  Er durfte aus der Rolle fallen, lästern, provozieren, Dinge sagen, die nicht erlaubt waren. Nur weil der Kasper zutiefst menschliche Eigenschaften auf sich zieht, bleibt der Held der Handlung rein, dem hehren Streben zugewandt, ein Ideal.  

Während der Kasper schließlich auf der großen Bühne verschwindet, auf der er sich bis zum Weltkrieg genauso zu Hause fühlte, bleibt er im Marionettentheater erhalten – vielleicht ist das der Grund, warum das Puppentheater ab 1945 mehr Zuschauer hatte als das Staatsschauspiel.

Eine 235 Jahre alte Kasper-Puppe – da stand eine grundlegende Körperpflege an. Die „Freunde der Puppentheatersammlung Dresden e.V.“ haben dafür jetzt die nötigen 1.600 Euro aufgebracht. Nicht nur das. Die Aktion ist Auftakt der neuen Kopf-Patenschaft, bei der ab sofort alle mitmachen können. Jeder oder jede kann sich auf der Webseite der Puppentheatersammlung „seinen“ Lieblings-Puppenkopf aussuchen und mit einer Spende von mindestens 100 Euro eine Patenschaft übernehmen.

Es geht dem Förderverein gerade darum, die Aktion unter die Leute zu bringen, auch kleine Spenden helfen. So kann eine Puppe auch mehrere Paten haben. Restaurieren, Nachbauen und später Neuerwerb sind die drei erklärten Ziele. Für Lars Rebehn ist es genauso wichtig, die Geschichten dahinter aufzuarbeiten, um künftigen Generationen Alltaggeschichten, Lebenskultur, Handwerk und Theater über Jahrhunderte nahe zu bringen.

„Wir haben sehr viele Puppenköpfe, die garantiert in der Ausstellung zu sehen sein werden“, so Rebehn. Wenn gewünscht, werden die Namen der Paten anschließend in der Sammlung und auch auf den digitalen Medien des Vereins veröffentlicht“, so Lutz Viehweg, Vorstandsvorsitzender der Freunde der Puppentheatersammlung Dresden e.V. Aktuell ist man im Gespräch mit Dr. Kathi Loch, Direktorin der Puppentheatersammlung, wie und wo eine Ehrentafel am Besten in die Ausstellung integriert werden kann.

Wie spannend die Welt des Restaurierens ist, zeigt ein ganz neuzeitlicher Aspekt. Manches wird nämlich bewusst nicht angefasst, z.B. Puppen z.B. aus Kunststoff. Die sind noch nicht  restaurierbar. Das müssen spätere Generationen tun, wenn die nötigen Techniken dafür da sind. Wer mehr Geschichten hören will, ist herzlich eingeladen:

Am Dienstag, den 11. Februar 18 Uhr, erzählt Oberkonservator Lars Rebehn Geschichten aus dem Leben des Lorgie-Kaspers im Karftwerk 12.

Zu den Charakerköpfen der Puppentheatersammlung geht`s hier:  

www.puppentheaterfreunde.de 

 

 


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