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Mein Reisetagebuch- Tag 6

Unterwegs mit dem Lutherpass 2017
Foto: Katrin Brunk

Foto: Katrin Brunk

Tag 6 Wittenberg – 20. April 2017 Zwei Brandenburger starten ins Herz Sachsen-Anhalts. Wittenberg – wir stehn nun hier, und wollten´s nicht anders! Verkehrstechnisch kann man die Anhaltiner prima erreichen, mit dem Auto nach Falkenberg, dann per Sachsen-Ticket fast stündlich mit dem Zug. Vormittag 10 Uhr Ankunft am Bahnhof in Wittenberg, wo noch mächtig für das große Jubiläum gewerkelt wird. Nach knapp 10 min stehen Jane und ich vor dem Asisi-Panometer „Luther 1517“. Im Eingangsbereich inspizieren wir das reichhaltige Souvenirangebot mit sinnvollen oder auch sinnfreien Dingen (Luther-Badeenten). Jede Menge Besucher reihen sich mit uns in die Schlange an der Kasse ein. Ossi ´s sind die Weltmeister im Anstellen und Geduld unser zweiter Vorname. Drinnen ist es fast wie im Kino, eine absolut beeindruckende Atmosphäre herrscht hier. 21. Jahrhundert prallt auf 16. Jahrhundert. Ich höre im Hintergrund Stimmen aus längst vergangener Zeit, sehe freche dreiste Ablasshändler. Friedrich der Weise kommt geritten, irgendwer verbrennt öffentlich eine Figur und Theologen diskutieren hinter einem halbherzig geöffneten Fenster. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang vereinnahmt uns das alte Wittenberg mit der Macht von Bildern, Farben und Geräuschen, mit galoppierenden Pferden, spielenden Kindern und armseligen Bettlern. Wuchtig zieht ein Gewitter auf und Regen prasselt ganz deutlich vernehmbar nieder. Stück für Stück entdecken wir immer neue Szenen, Menschen und Stadtgeschichten. Völlig richtig, dass man hier nicht fotografieren darf, sonst könnten die Besucher dieses Historienspektakel nicht mit allen Sinnen in seiner Explosivität erfassen und empfinden. Weit über eine Stunde bleiben wir Gefangene unserer Begeisterung. Unter all diesen Eindrücken muss jetzt eine Kunstpause in einem kleinen Café am Rathaus sein. Petrus, du heiliger Wetterheld, hast Sonne und Kälte für uns bestellt! Deshalb tut ein Schälchen Heißes mehr als gut, dazu frisch gebackene Waffeln. Oh diese Leckermäulchen! Bitte nicht zu verwechseln mit „Lästermäulchen“! Der Hof von Lucas Cranach (das ist der Mann, wo man schon nach drei Pinselstrichen erkennt, was es sein soll) ist nicht weit. Der Lieblingsmaler und Freund der Reformation ist nicht mehr Zuhause, dafür sehen wir seine Werkstatt und allerlei Nebengelass. Egal ob nun zum 2. oder 3. Mal, an der altehrwürdigen Schlosskirche kann man sich eigentlich nicht sattsehen. Heerscharen von Besuchern tummeln sich vor und hinter der Tür, die damals wie das schwarze Brett funktionierte. Löcher sehe ich keine, ist ja komisch. Ein kleiner Mühlberger Stein mit der Aufschrift “1547“ bleibt von mir auf Luthers Grab zurück, in Erinnerung eines dramatischen Finales zu beiden Ufern der Elbe, dem 1. Religionskrieg auf deutschem Boden. Und wie sieht es heute auf unserer Welt aus? Zeit für eine neue Reformation... Mensch, Martin. Wieder nichts dazugelernt, die Menschenkinder. Ringsum die Kirche emsiges Treiben, eilige Handwerker und blühende Grüße für die Gäste – spätestens bis zum Herbst soll und muss alles fertig sein. Das kennen wir von unserer Museumseröffnung in Mühlberg 2015! Der Pulsschlag steigt mit jeder Woche, mit jedem Termin, jedem Projekt. Die Welt schaut dann auf diese Stadt! Und hoffentlich auch ein bisschen auf unsere kleine Perle hier im Süden. Stempel Nr. 7. Vorletzte Reisestation, das Reisefieber steigt. Bei den Gesprächen mit Wittenbergern im Eine-Welt-Laden, vor der Buchhandlung oder im Tourismuszentrum verkünden wir stolz, wo wir herkommen: aus dem Landkreis in Brandenburg, der den Lutherpass erfunden hat. Man sagt: „Aha, Mühlberg, da hat´s doch damals mächtig gekracht!“. Elbe-Elster hinterlässt Eindruck und Spuren im Kernland der Reformation. Das soll ruhig jeder wissen, wir sind keine „Lückenbüßer“ und brauchen uns nicht zu verstecken. Karl, der Kaiser war auch hier, im Mai 1547. Der Triumph des gichtgeplagten Herrschers wegen seinem Sieg sollte nicht lange anhalten. Hat ihm doch der rothaarige Moritz von Sachsen noch einen Strich durch die Rechnung gemacht. Es geht per pedes weiter zum alten Gericht und passend dazu am alten Gefängnis vorbei. Nicht lange darauf sitzen Jane und ich mit Apfelpunsch in einer der zahlreichen hübschen Gaststätten entlang der Schlossstraße. Der warme Trank tut jetzt echt gut, sind wir doch ziemlich gefrostbeutelt. Tief in Gedanken versunken befinde ich mich, ca.70 km Luftlinie, in Mühlberg in einem liebenswerten kleinen Musik- und Lesecafé. Esse da ein Stück von diesen „Glücklichmachern“ (Kuchen), schmökere in einem Comic von 1973 und bestelle den 2. Mühlberger Elbauentee, selbstverständlich handverlesen von den Kräuterfeen. Passend dazu verwöhnt Klaviermusik von Chopin meine Ohren. Das wär doch mal was! Gibt es noch andere verrückte Ideen? Ein Ort wird immer erst durch die Menschen schön, die dort leben. Beim Besuch des Stadthauses sperren wir uns leichtsinnigerweise im Innenhof aus, ein verständnislos blickender junger Mann befreit uns aus der misslichen Lage. Hier wird der Märkische Partnerkreis mit Musikern aus Elbe-Elster ein spitzenmäßiges Konzert anlässlich der Feierlichkeiten des Lutherjahres bieten. An der Buchhandlung findet ein Quiz statt. Na klar haben wir mitgemacht und was gewonnen! An Wissen auf jeden Fall. Verlorene Wörter sollten hier auch noch gerettet werden, ich sag euch mal ein paar Beispiele: Güte und Glückseligkeit. Zufriedenheit und Bescheidenheit. Kindergarten fällt mir noch ein. Es gibt welche, die werden nicht nur wenig genutzt, sondern auch kaum noch gelebt. Vom beliebten Elberadweg erzählt ein sehr redseliger „Bücherwurm“, der ihn befahren hat. Man kennt sich aus im Süden Brandenburgs. Die „heiligen Hallen“ Lutherhaus und Melanchtonhaus sind einfach nicht zu schaffen. Das übersteigt das heutige Fassungsvermögen unserer Akkus. Es ist bereits Nachmittag und mit jedem Schritt steigt der Appetit auf etwas deftiges, Herzhaftes im Kartoffelhaus am Marktplatz. Bei Frau Käthe kam Geflügel und Geflatter auf den Tisch. Eine Leibspeise ihres Gatten Martin waren gebratene Salzheringe mit Erbspüree. Ich gebe zu, bei dem Menü hätte ich gestreikt. Wir essen ganz neuzeitlich Ofenkartoffel und Süßkartoffelsuppe. Das altmodische Inventar der Gaststätte erinnert an Oma und Opa, an einen Dachbodenfundus für Antiquitätenjäger. Warum müssen diese verführerischen Schoko-Shops immer so dicht an unseren Wegen liegen? Charakterlos schwebt man in diese Hochburgen der Verführung und kann der Versuchung nicht verstehen. Wie immer, nur mal kosten. Natürlich völlig widerwillig! Aber das ist uns eine Sünde wert, handgefertigtes Konfekt. Wie zwei kleine Botschafter oder kurfürstliche Gesandte nach erfüllter Mission wandeln wir zum Bahnhof und sitzen bald darauf mit müden Füßen im Zug. Auf der Zunge liegt noch ein Hauch Genuss, im Kopf bunte Bilder und tausend Gedanken, im Herzen Zufriedenheit. So verlassen zwei Frauen die „Wiege der Reformation“. Unbeirrt und weiblich dynamisch steuert unser Schiff die nächste Etappe mit dem Lutherpass an: Torgau an der Elbe. Die letzten Seiten meines Reisetagebuches werden dann aufgeblättert. K.Brunk, Mai 2017   „Der Papst in Rom, der zittert schon, denn bald verliert er seinen Thron. Denn Doctor Luther hat verkündet: Der Teufel ist dem Papst verbündet“. (Aus dem Mosaik-Sammelband „Schlag auf Schlag“ 2017 – meine Lese-und Lachempfehlung!)


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