Kreative Köpfe gesucht
Der Strukturwandel stellt unsere Region vor große Herausforderungen. Es soll viel Geld investiert werden, um den Wegfall des Braunkohleabbaus zu kompensieren. Dabei hat sich ein unübersichtliches Gerangel gebildet, weil jeder für sich ein möglichst großes Stück vom Kuchen haben will und die Meinungen darüber, wo am besten investiert werden sollte, auseinandergehen. Mit einem neuen Projekt will die Entwicklungsgesellschaft Niederschlesische Oberlausitz einen neuen Ansatz ausprobieren. Kurz gesagt geht es darum, einen Transformationsprozess, wie er in Firmen angewandt werden muss, wenn das Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert, auf eine ganze Region zu denken. In konkreten Fall ist diese Region der Landkreis Görlitz, das Geschäftsmodell der Braunkohleabbau. Auf die Ausschreibung im Frühjahr bekam Grantiro den Zuschlag. Dabei handelt es sich um ein Bündnis aus Wissenschaftlern, Innovationsmanagern und Sanierern, »think & do tank« nennt man das heute. Es folgte die Einrichtung einer Niederlassung in Görlitz. »Wir wollten das bewusst nicht selbst machen, sondern den Blick von außen«, sagt ENO-Geschäftsführer Sven Mimus. Aber die Macher sollten in Görlitz sitzen, die Region kennenlernen, nicht nur aus der Ferne draufschauen. Die Fäden in der Hand halten Dr. Johannes L. Sauerwein und Christoph Scholze. Sauerwein hat sich in seiner jüngeren Vergangenheit am IfUS-Institut in Heidelberg mit Restrukturierung und Unternehmenstransformation beschäftigt, engagiert sich außerdem ehrenamtlich im sozialen und politischen Bereich. Für die neue Aufgabe zog er von Heidelberg nach Görlitz um. Scholze war bei Siemens Energy für die Entwicklung des Innovationscampus verantwortlich und hatte als stellvertretender Betriebsratsvorsitzender großen Anteil an der Rettung des Werkes in den Jahren 2017/18. Der Strukturwandelexperte ist politisch und wirtschaftlich exzellent vernetzt. Beide glauben an den Prozess, denn sie aktuell starten. Seit Mai arbeitet die neue Niederlassung, zunächst untergebracht bei der ENO. Ende November wurde das eigene Büro auf der Steinstraße direkt neben dem ehemaligen Kaufhaus Totschek eingerichtet. Sobald es Corona wieder zulässt, soll es Anlaufpunkt für alle Bürger werden.
Innovative Menschen und Ideen finden
Beim Grantiro-Prozess geht es darum, die Innovationskraft in der Bevölkerung anzuzapfen. »Wir haben mit Kreativinterviews angefangen«, erklärt Johannes L. Sauerwein. Knapp einhundert wurden bisher geführt. Eigentlich sollten es schon mehr sein, aber der Prozess ist erklärungsintensiv und Corona hat zusätzlich gebremst. Die Interviews richten sich an alle Menschen, egal ob angestellt, selbstständig oder arbeitssuchend, Verkäuferin, Beamter, Hochschulprofessorin oder Theologe, jeder konnte und kann noch mitmachen. Das Projekt ist als Bottom-Up-Prozess angelegt. Auf ein Unternehmen bezogen versucht man dabei, die Fähigkeiten und Ideen der Mitarbeiter zu aktivieren, statt aus der Chefetage vorzugeben, was zu tun ist. Auf den Landkreis bezogen bedeutet es, die Fähigkeiten und Ideen der Menschen, die hier leben, zu aktivieren. Mit den Interviews werden Teilnehmer für Workshops ermittelt. Eigentlich waren die ersten davon mit rund 40 Teilnehmern im November geplant. Auch hier spielte Corona nicht mit. Also sattelte man auf Online-Veranstaltungen um, die gestreamt werden. Die erste mit 15 Teilnehmern findet am 13. und 14. Dezember statt. Im Januar folgt der zweite Workshop im gleichen Format. Der ganze Prozess wird wissenschaftlich begleitet. »In der Form wurde das noch nie gemacht«, sagt Johannes L. Sauerwein. Deswegen sei offen, wohin genau die Reise geht, das Interesse aus der Wirtschaft aber groß. »Einen Landkreis wie ein Unternehmen zu denken ist ein völlig neues Konzept, deswegen danke an den Landkreis Görlitz, dass wir das hier probieren dürfen«, so Sven Mimus. Gefördert wird das Projekt aus Mitteln der Förderrichtlinie »Stark« des Bundeswirtschaftsministeriums.»Wenn nicht jetzt, wann dann«
»Der Strukturwandel wird Jobs kosten. Dass die Strukturwandelgelder jetzt für Kitasanierungen, Freibäder und touristische Beschilderung eingesetzt werden, können viele Menschen nicht nachvollziehen. Wir bieten die Chance, sich mit eigenen Ideen einzubringen und etwas zu entwickeln«, sagt Christoph Scholze. Für die ersten Workshops im Dezember stehen die Teilnehmer zwar schon fest, für die Workshops im Januar werden aber noch Menschen gesucht, die mitmachen wollen. »Im Dezember arbeiten wir vor allem mit Unternehmern, die Workshops im Januar sollen mit Teilnehmern aus der Bürgerschaft besetzt werden«, sagt Johannes L. Sauerwein. Und danach ist natürlich nicht Schluss. Es ist ein Prozess, der sich über Jahre erstreckt. Wer mitmachen will, findet auf einer eigens eingerichteten Website alle Infos. Aufwnjwd.de kann man außerdem direkt einen Termin für ein Kreativitätsinterview vereinbaren und auch direkt Ideen einreichen. Ein Klick auf den jeweiligen Button genügt, die danach folgenden Formulare erklären sich von selbst. Die Buchstabenfolge wnjwd wurde natürlich nicht zufällig gewählt, sie steht für »Wenn nicht jetzt, wann dann« und beschreibt den Spirit der Grantiro-Initiative. Für die Interviews, die vorerst coronabedingt online per Zoom-Call stattfinden, sollte man 30 bis 45 Minuten einplanen. Nach der Anmeldung werden der Zoom-Link und die Unterlagen per Mail zugesandt. Auf technischer Seite braucht es einen PC, Tablet oder Smartphone für den Zoom-Call und einen Drucker und einen Stift. Wer keinen Drucker hat, kann sich unter
info@wnjwd.de melden und bekommt dann die Unterlagen, die eigentlich gedruckt werden müssten, zugeschickt. Software muss man nicht installieren, Zoom lässt sich auch über den Browser nutzen. Christoph Scholze und Johannes L. Sauerwein hoffen natürlich, dass möglichst viele Menschen mitmachen. »Viele der Menschen im Landkreis ahnen noch gar nichts von ihren kreativen Fähigkeiten. Diese Menschen, die Lust haben, Dinge neu und anders zu denken, suchen wir.«