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"Die Strecke ist noch ein Phantom"

Nördlich von Niesky soll ein Testzentrum für Eisenbahntechnik entstehen. Eine Bürgerinitiative ist mit der Informationspolitik zu dem Projekt unzufrieden und fordert: Stopp TETIS.
TETIS ist kein staatliches Projekt. Das Sächsische Wirtschaftsministerium sucht aktuell private Investoren, die das Projekt verwirklichen. Interessenten gibt es, aber noch keine klare Entscheidung. Symbolfoto: Pixabay

TETIS ist kein staatliches Projekt. Das Sächsische Wirtschaftsministerium sucht aktuell private Investoren, die das Projekt verwirklichen. Interessenten gibt es, aber noch keine klare Entscheidung. Symbolfoto: Pixabay

Im Sommer wurde die Entscheidung bekannt: Das neue Testzentrum für Eisenbahntechnik in Sachsen – kurz TETIS – soll nahe Niesky entstehen. Eine Potentialanalyse der Zukunftswerkstatt Lausitz, bei der mehrere Standorte in Sachsen und Brandenburg untersucht wurden, hatte ergeben, dass der Bereich nördlich von Niesky am besten für den Bau geeignet sei. Beim Kreis und der Stadt kam das Vorhaben gut an. Schließlich stellt die entsprechende Studie bis zu 1000 neue Arbeitsplätze in Aussicht. Landrat Bernd Lange sagte damals: »Die Realisierung am Standort Niesky wäre ein Gewinn für die gesamte Oberlausitz und würde die Kompetenz der Region im Schienenfahrzeugbau hervorheben.“ Doch es wäre auch ein Eingriff in die Natur und in die Lebenswelt der Menschen vor Ort. Deswegen sind Merten Menzel und Matthias Küttner als Anwohner alles andere als begeistert. Sie haben die Bürgerinitiative „Stopp TETIS“ ins Leben gerufen. Sie sind nicht grundsätzlich gegen das Projekt. Das können sie eigentlich auch nicht, denn sie wissen gar nicht, was genau geplant ist. Die besagte Potenzialanalyse beispielsweise haben sie noch nicht gesehen, sie ist nicht öffentlich. Auch der WochenKurier wurde auf Anfrage nur auf eine Präsentation verwiesen. Blick in die Analyse? Fehlanzeige.

2300 Faltblätter verteilt

Natürlich würde es die Anwohner in Niesky-Neuhof und anderen möglicherweise betroffenen Orten wie etwa Spreehammer, Uhsmannsdorf und Sandschänke interessieren, warum man ihnen die Teststrecke vor die Nase setzen will. Neben dem befürchteten Lärm sieht die Bürgerinitiative auch eine Zerstörung einer einzigartigen Landschaft. In einer Präsentation zu besagter Studie sind schon einige mögliche Streckenverläufe zu sehen. „Egal welcher Streckenverlauf gewählt wird, er läge immer zu 80 Prozent im Wald“, sagt Merten Menzel. Hieße: Bäume fällen, Lebensraum von Fuchs, Dachs, Kranich und Rot-Milan zerstören. Bei eben diesen Streckenverläufen zeigt sich das Kommunikationsproblem, dass die Bürgerinitiative kritisiert. Sowohl Stadt als auch sächsisches Wirtschaftsministerium bestätigen auf Nachfrage, dass die Streckenverläufe noch gar nicht feststehen. Mit dem Bild sollte wohl nur gezeigt werden, dass die Teststrecke in das Gebiet passt. Trotzdem hat es natürlich für Unruhe gesorgt. „Das ist wirklich unglücklich gelaufen“, sagt auch Nieskys Oberbürgermeisterin Beate Hoffmann. Die Intension der Stadt sei es in jedem Fall nicht, dass die Strecke so verläuft, wie es in der Präsentation abgebildet ist. 2300 Faltblätter hat die Initiative vor einigen Wochen verteilt. „Stopp TETIS heißt nicht, dass wir das Projekt verhindern wollen. Wir wollen, dass es angehalten wird, bis die Bürger vernünftig informiert und in die Planung mit einbezogen sind“, sagt Matthias Küttner. Bei einem ersten Gespräch mit der Oberbürgermeisterin gab es wenig Details zu TETIS, dafür aber zumindest eine Klarstellung zu einer Umwidmung des nördlich von Neuhof liegenden Gewerbegebiets. Davon soll ein Teil zum Industriegebiet umgewidmet werden. Die Vermutung lag nahe, dass das für TETIS geschieht. Dem ist allerdings laut Aussagen der Stadt nicht so. Stattdessen gebe es interessierte Firmen, die sich dort ansiedeln wollen.  Was aber sicher auch nicht zu mehr Ruhe in Neuhof beitragen wird. „Industriegebiet heißt für mich 3-Schicht-Betrieb“, sagt Merten Menzel. Ob der geplante Erdwall als Lärmschutz das komplett kompensieren kann, da hat man bei der Bürgerinitiative Zweifel. In der Stadtratssitzung Anfang November waren die Macher von Stopp TETIS auch vor Ort. Zwar stieß das Faltblatt nicht bei jedem auf Zustimmung, aber man einigte sich darauf, eine Arbeitsgruppe mit Stadträten und Vertretern der Bürgerinitiative zu gründen. So sollen Informationen künftig schnell sowohl beim Stadtrat als auch bei der Initiative ankommen.

Es gibt Interessenten

Am 19. November gab es ein weiteres Treffen. In der Jahnhalle kamen Vertreter der Stadt, des Stadtrats, der Bürgerinitiative und des Wirtschaftsministeriums zusammen. Auch die Projektmanagerin der für die Erstellung der Potenzialanalyse zuständigen Zukunftswerkstatt Lausitz war vor Ort. „Zu Streckenführung und Zeitplan konnten keine konkreten Aussagen getroffen werden“, teilt uns Merten Menzel mit und spricht damit einen wunden Punkt an, den auch die Bürgermeisterin in einem Gespräch einräumte. Man sei mit der Ankündigung des Projekts im Sommer überrollt worden. Dann passierte wochenlang nichts. Aber die Menschen fragen natürlich nach, wollen Details wissen. Nur gibt es die noch nicht. Das zeigt auch eine Antwort des sächsischen Wirtschaftsministeriums. An das SMWA sei vor zwei Jahren aus Unternehmenskreisen die Idee für eine Teststrecke herangetragen worden. Es folgte die Potenzialanalyse mit Niesky als Gewinner. Jetzt sucht das Ministerium einen privaten Investor, der das Projekt verwirklicht und die in der Studie genannte Investitionssumme von 270 Millionen Euro aufbringt. „Interessenten gibt es, aber noch keine klare Entscheidung“, schreibt uns das SMWA. Bis die steht, sind Zeitpläne und Streckenverläufe nicht mehr als Spekulation. „Die Industrie wünscht sich eine Inbetriebnahme ab Mitte der 2020er-Jahre“, schreibt das Wirtschaftsministerium. Aber Planungsprozesse für Großprojekte in Deutschland dauern. „Die Behörden sehen einen Zeitbedarf für Raumordnung und Planfeststellung von jeweils eineinhalb bis zwei Jahren. Vom ersten Spatenstich bis zur Inbetriebnahme vergeht sicher nochmals mindestens ein Jahr. Dabei sind mögliche Konflikte wie Klagen von Betroffenen nicht eingerechnet.“

Streckenverlauf unklar

Auch in Sachen Streckenverlauf gibt es noch nichts Konkretes. Wo die Stecke verlaufen soll, ob sie kreisförmig oder eher oval wird, alles noch unklar. „Wir wissen nur, dass spätere Nutzer mit Tempo 200 darauf fahren wollen. Das Gleis darf also keine scharfen Kurven haben. Weitgehend klar ist nur: Es wird meistens Wald durchschnitten“, teilt Christian Adler vom Wirtschaftsministerium mit. Ohne Lärm wird eine solche Testanlage natürlich nicht auskommen. Wer aber vom hohen Geräuschpegel alter Güterwaggons ausgehe, habe falsche Vorstellungen, so Adler. Eines der Haupterfordernisse an neue Eisenbahnen sei, dass sie flüsterleise sind, wie etwa die neuen ICEs der Deutschen Bahn. „Um diese Bahn-Zukunft geht es bei dem Testring“. Die lautere testweise Vollbremsung werde man weitab von jeglicher Wohnbebauung machen, dafür werde der Ring groß genug. Der Wald werde zudem ein guter „Lärmschlucker“ sein. Die Bürgerinitiative zog nach der Veranstaltung am 19. November ein treffendes Fazit: „Die Strecke ist noch ein Phantom, aber Niesky als Standort steht so gut wie fest“. Und das obwohl die Potenzialstudie nur aus industriepolitischer Sicht erstellt wurde, naturschutzrechtliche Belange und die Belange der Bürger also keine Rolle spielten. Die werden erst im Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren berücksichtigt. Für die Bürgerinitiative bleibt die Forderung klar: Man will informiert und in die Planungen und Entscheidungen mit einbezogen werden. Und das nicht erst, wenn das Raumordnungsverfahren beginnt. Merten Menzel, Matthias Küttner und die anderen Mitstreiter von „Stopp TETIS“ fragen sich beispielweise, warum an eine Verlegung nach Norden um den Tagebau Reichwalde kein Gedanke verschwendet wird. Auch die Frage der Besitzverhältnisse steht weiterhin im Raum. Wem gehören die Flächen, auf denen später neue Züge getestet werden sollen? „Da die Lage des Rings noch nicht feststeht, macht eine Untersuchung der Eigentumsverhältnisse derzeit keinen Sinn“, schreibt das SMWA dazu. Es werde letztlich ausschließlich auf das Verhandlungsgeschick des Investors ankommen, die erforderlichen Flächen einzukaufen oder einzutauschen.


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