Artgerechte Philosophie und ein Traum
Wenn Stephanie Reichert über Stoffwindeln, artgerechte Lebensweise und über ihre Ehrenamtsarbeit in der Stillberatung für Mütter spricht, schwingen Leidenschaft, Motivation, Engagement, sehr viel Liebe und Freude zur Sache mit.
Als die 29-Jährige mit ihrem ersten Kind schwanger war, stieß sie auf das Thema Stoffwindeln und recherchierte sehr intensiv. Ihr Fazit: Das klingt überzeugend. Wir probieren es aus!
Mit Erfolg. Für die Eltern eine sehr positive Erfahrung, die das Bewusstsein für eine an den Menschen angepasste, optimal an der Natur orientierte Lebensweise schärfte. Artgerecht zu leben heißt nämlich, mehr als nur Stoffwindeln zu benutzen. Viel mehr. Diese Einstellung ist für die Eltern längst zu einer Philosophie geworden, von der nicht nur ihre beiden Kinder profitieren.
Die Daten werden von der Good Conversations gGmbH (einer Tochtergesellschaft von ZEIT ONLINE) erhoben und verarbeitet.
So völlig neu ist dieser sehr bedürfnisorientierte Umgang mit Kindern und letztlich auch mit sich selbst wahrlich nicht. Sondern eher das Intuitivste und Logischste, was eine Mutter-Kind-Beziehung mit allen einhergehenden Höhen und Tiefen im eigentlichen Sinne ausmacht. Auch diese Eltern haben schreiende, trotzige und manchmal auch wütende Kinder. Artgerecht bedeutet nämlich nicht automatisch natürlich und perfekt. Gemeint ist viel mehr all jenes Wissen, was die Menschheit hatte, bevor sie industrialisiert wurde. Der heutige Alltag und die damit verbundenen Herausforderungen, wie ein ausgeprägt herrschendes Werte- und Vergleichssystem und viele andere Dinge, erschweren aber die Umsetzung erheblich, weiß die 29-Jährige aus eigener Erfahrung. Die Hoyerswerdaerin lässt sich nicht von überlieferten Glaubenssätzen wie »man muss ein Baby auch mal schreien lassen, sonst wird es zu sehr verwöhnt« leiten. »Hinter dem Schreien steckt ein natürliches Bedürfnis, wie die Suche nach Nähe und Sicherheit. Babys können ihre Eltern noch nicht manipulieren. Wenn man das Kind nun schreien lässt, bleibt seine Angst und es schläft irgendwann nur vor Erschöpfung ein, weil es aufgegeben hat zu rufen«, erklärt Stephanie Reichert den Hintergrund.
Ein Plädoyer für die Stoffwindel
Und auch das Thema Stoffwindeln entpuppt sich trotz vieler »alter, überlieferter Hüte« wie Mehraufwand, Unbequemheit und nicht schön, bei genauerer Recherche als das völlige Gegenteil. Die modernen Schutzhöschen sind nicht nur artgerecht, sondern auch effektiv und sogar weniger kostenaufwendig als Wegwerfwindeln. »Mit einer Stoffwindel spüren Babys sofort, dass sie Urin oder Stuhl abgegeben haben. Dieser von Natur aus gegebene Reflex hilft beim Sauberwerden des Kindes, wird aber durch das absorbierende Material in Wegwerfwindeln unterdrückt.« Und auch der ökologische Fakt sollte durchaus zu denken geben. So brauche eine Wegwerfwindel bis zu 700 Jahre, um in freier Natur verrotten zu können.
Laut einer Statistik brauche ein Kind bis zum dritten Lebensjahr bis zu 6.000 Wegwerfwindeln, erklärt Stephanie Reichert über ihre Recherchen. Nach ihrer Berechnung lassen sich mit Stoffwindeln bis zu 1.000 Euro sparen. »Wir sollten auch unser Umweltbewusstsein schärfen und darauf achten, welches Erbe wir unseren Kindern hinterlassen«, meint die ausgebildete Fachkraft für natürliches und nachhaltiges Wickeln.
Die Expertin aus der Stoffwindel-Akademie gibt auch Kurse und Workshops, um interessierte Eltern in Theorie und Praxis hilfreich unterstützen zu können. Der nächste kostenfreie Kurs in der Volkshochschule startet am 29. Juni um 16.30 Uhr.
Ab Juli leitet sie die »Kinderstube«
Ab dem 1. Juli geht für Stephanie Reichert ein weiterer beruflicher Traum in Erfüllung: Die Sie wird die private Kindertagestätte »Kinderstube« in der Jan-Amos-Comenius-Str. 33 im WK VII übernehmen, deren bisherige Leiterin nach über 25 Jahren in den Ruhestand geht.
Als die studierte Soziologin, Kommunikationswissenschaftlerin, Sozialarbeiterin und -pädagogin die Anfrage erhielt, ob sie die Kita weiterführen wolle, hatte ihr Herz bereits leise »Ja« gesagt, bevor später alles überdacht und entschieden worden ist. Alles andere war nur noch eine Frage der Zeit. »Meine beiden Kinder besuchen bereits die ‚Kinderstube‘. Die Kleingruppe, der damit verbundene Betreuungsschlüssel und das individuelle bedürfnisorientierte Konzept überzeugen mich«, so die zukünftige Kita-Leiterin, die momentan auch eine Ausbildung zum »artgerecht-Coach« absolviert.
Kein leichter Weg im Zeitalter von bequemen Wegwerfwindeln, fertiger Babyflaschennahrung und einer funktionierenden Gesellschaft, die oftmals fremdbestimmt wird. Für Stephanie Reichert eine Herzensangelegenheit. Und wenn man die engagierte Hoyerswerdaerin im Alltag erlebt, dürfte ihre gelebte Philosophie durchaus eine positive Zukunft für Kinder und deren Eltern haben.