Klaus Wilke

Ein wunderbares Ensemblestück 

Stephan Märkis letzte Opern-Inszenierung: "Kleider machen Leute"

 

Der Tenor Paul Schweinester spielt Wenzel Strapinski

Der Tenor Paul Schweinester spielt Wenzel Strapinski

Bild: Bernd Schönberger

Und Seldwyla gibt es doch! Auch wenn Literaturexperten behaupten, der schweizerische Ort sei nur eine Erfindung des Schriftstellers Gottfried Keller (1819 - 1890) für seine Novellensammlung "Die Leute von Seldwyla", worin auch die Geschichte "Kleider machen Leute" erzählt wird. Diese Novelle bildet für den österreichischen Komponisten Alexander Zemlinsky (1871 - 1942) die Grundlage für seine Oper, wenngleich die Geschichte in Zemlinskys Fassung dichter und vielschichtiger wurde als in der Vorlage Kellers.


Diese Lesart wiederum gefällt dem Cottbuser Intendanten und Operndirektor Stephan Märki so gut, dass er Zemlinsky und dessen Menschen auf die Bühne des Staatstheaters holen will. Es ist, da er sich 2025 in den Ruhestand verabschiedet, seine letzte Regiearbeit in Cottbus: "Es ist ein außergewöhnliches Stück Oper mit großen erzählerischen Motiven, die sehr ins Heute passen und auch für mich persönlich als Abschiedsstück von Cottbus geeignet erschienen."


Die Oper erzählt vom Schneidergesellen Wenzel Strapinski aus Seldwyla, den List, Missverständnis und Sehnsüchte ohne wirkliches Verschulden in einen polnischen Grafen verwandeln. Erst als solcher gefeiert, dann als vermeintlicher Hochstapler bloßgestellt, erlebt er kurz hintereinander Himmel und Hölle auf Erden. Die ihn feiern und die ihn ächten und verhöhnen, sind von gleichem Blut. Sie werden von Neid und falscher, zynischer Moral getrieben. Am Ende sind sie und nicht Strapinski entlarvt, eine geleitete Gesellschaft bloßgestellt.
Stephan Märki: "Strapinski ist für die Dorfbewohner vom Nachbarort Goldach und von Seldwyla die Projektionsfläche ihrer eigenen Sehnsüchte und ihres Hasses. Er ist ein Fremder, ein Anderer, einer, mehr will, ein Künstler und, das ist das dritte autobiografische Motiv Zemlinskys, Jude. Das müsste tragisch enden, wenn es nicht Nettchen gäbe, mit der Wenzel sehr schnell eine innige Liebesgeschichte verbindet. Sie ist Melchior Böhni versprochen, den sie nicht mag, ein eitler Emporkömmling. - Verraten wir nicht zu viel über den Inhalt. Es ist jedenfalls eine tolle, sehr poetische, äußerst unterhaltsame und zugleich tiefgründige Oper mit einer Musik, die etwas Euphorisches, mitunter tief Melancholisches, dann wieder eine operettenhafte Leichtigkeit aufweist."


Dramaturgin Julia Spinola ergänzt: "Eine erste Fassung der Oper wurde 1910 aufgeführt. Zemlinsky war von Gustav Mahler und Arno Schönberg beeinflusst, hat aber selbst die Tonalität nie verlassen. Im Streit um Traditionalismus und Neurertum zwischen Brahms und Wagner hat er die beiden ,Streithähne' zusammengebracht. In ,Kleider machen Leute' gelingen ihm wunderbare musikalische Porträts der Menschen aus den rivalisierenden Dörfern."


Dass Literaturvorlage und Musik so miteinander harmonieren, begeistert den Opernregisseur: "Es ist ein wunderbares Ensemblestück, groß orchestriert, anspruchsvoll zu spielen und angenehm zu hören, nicht zuletzt durch ein ganzes Füllhorn von Zitaten anderer Opern- und Operettenkomponisten."
Julia Spinola: "Zemlinsky hat mehrere Fassungen seiner Oper geschrieben. Wir spielen eine, die er 1913 für Mannheim geschrieben hat. Sie sollte 1914 aufgeführt werden. Sie kam nicht auf die Bühne, weil vier Tage nach dem Premierentermin der Erste Weltkrieg begann. So haben wir 111 Jahre später in Cottbus eine Uraufführung!"


Stephan Märki ist in Cottbus mit einer prächtigen "Carmen" gestartet, die er aus Bern mitgebracht hatte. Später erregte er Aufsehen mit seiner bundesweit medial applaudierten Inszenierung von "Tristan und Isolde". Welche Überraschungen er für seine neue Arbeit in petto hat, will er nicht verraten. Es wird schon einige Dinge geben, mit denen das Publikum nicht rechnet. Nehmen wir die Besetzung der Hauptrolle für eine. Wenzel Strapinski wird von dem international renommierten österreichischen Tenor Paul Schweinester verkörpert. Auf dessen Homepage liest man: "Das ganze Leben ist Bühne - ein aufregendes, zugleich riskantes, völlige Aufmerksamkeit forderndes Abenteuer. Alle Bereiche der darstellenden Kunst können mir Zuhause sein. Ob Oper, Schauspiel, Operette, Musical, Liederabend, Film oder Performance." Wie gut das zu "Kleider machen Leute" passt!


Übrigens: Seldwyla wirkt nicht nur auf der Bühne täuschend echt lebendig. Heute gibt es Seldwyla wirklich. Sechs Architekten haben es 1967 gegründet.


Premiere: 25. Januar, 19.30 Uhr, Großes Haus.




 


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