Jürgen Maennel

Ein Leben lang in einem Boot

Dresden/Kipsdorf. Ursula und Eberhard Gläser feierten gemeinsam zwölf Weltmeistertitel - und jetzt Eiserne Hochzeit.

Der Standesbeamte im Kipsdorfer Rathaus war am Silvestertag 1958 echt verblüfft, denn die Hochzeit von Ursula und Eberhard vor 65 Jahren war eine ganz besondere. Zunächst einmal suchte er sein Brautpaar. Er vermutete es nicht in dem jungen Paar in sportlicher Skibekleidung, das da zaghaft auf die Nachfrage zum Brautpaar Gläser die Finger hob.

Und wo waren die Hochzeitsgesellschaft, die geschmückte Hochzeitskalesche, aufgeregte Trauzeugen, Eltern und Familienangehörige, Blumenstreukinder oder Paddel kreuzende Vereinskollegen? 2,30 Mark für den Tischschmuck in der Tasche Das ließ ihn sogar ein wenig in Sorge geraten, ob die beiden überhaupt die Kosten für den Tischschmuck aus den Taschen der Skianzüge holen würden. Aber ja, die beiden, die ihren Winterurlaub in Oberbärenburg für den wichtigsten Tag ihres Lebens unterbrochen hatten, waren die Richtigen für ihn und sich selbst.

Die 2,30 Mark der DDR hatten sie selbstverständlich auch dabei. Denn spontan war die Entscheidung für die beiden 20jährigen Kanuten nicht gefallen. Reiflich überlegt hatten sie den Schritt und kannten sich schon mehr als ein paar Trainingsstunden. Mit 15 waren sie sich beim Kanusport an der Elbe erstmals begegnet.

Aus Sportlfreundschaft wurde Liebe. Bald gestählt durch wildes, kaltes Wasser auf den Trainingsstrecken des Osterzgebirges, der DDR und ganz Osteuropas. Der Verzicht auf eine große Hochzeitsfeier mit vielen Gästen hatte seinen Grund: Die beiden brauchten für ihren Sport ein Auto und mussten jeden Pfennig zur Seite legen. Die Eltern konnten nicht viel beisteuern. Also wurde entschieden: wir heiraten allein und ohne großen Aufwand. So gab es nicht mal ein Hochzeitsfoto vom überglücklichen Paar, wie sie heute rückblickend bedauern.

Immerhin - ein leckeres Hochzeitsessen war dann doch zu Hause bei den Eltern drin. Beide waren seit ihrer Jugend begeisterte Wildwasserkanuten. Die Boote mussten oft weit transportiert werden, also war ein fahrbarer Untersatz unabdingbar. Das Geld für den P70-Kombi, einen Vorgänger vom Trabant mit großer Liegefläche, hatten sie bald zusammen. Ein Auto was sie nie verließ, wo sie unterwegs schlafen konnten und es auf dem Dach Platz für die Boote gab.

Und zusammen blieben sie fortan ein ganzes Leben lang. Was der Standesbeamte ihnen ans Herz legte, sich jeden Tag eine kleine Freude zu machen, haben Sie beherzigt. So hat ihre Ehe nicht nur über sechs Jahrzehnte gehalten, sondern in den 60ern erlebten sie gemeinsam viel Freude, Erfolge und unvergessliche Triumphe. Eiserner Trainingsfleiß, Harmonie und der Wille den anderen voranzubringen, zahlte sich bald aus.

Der Lohn: Ursula Gläser holte sieben Mal Gold bei Weltmeisterschaften im Kanu, Eberhard Gläser fünf Mal. Deutsche Meister wurden beide mehrfach. Drei Pokale aus Meißner Porzellan mit Drachenmuster stehen auf einem Ehrenplatz in ihrem kleinen Häuschen, die fest und sicher angebrachten vergoldeten WM-Plaketten erinnern sie gern daran. Einer der vielen Höhepunkte ihrer Karriere war die WM vor der eigenen Haustür. Im Juli 1961 trafen sich Sportler aus 13 Nationen im Rabenauer Grund bei Freital zur einzigen Weltmeisterschaft der DDR im Kanu-Slalom und Wildwasserrennen.

Der 23jährige erkämpfte sich im Faltboot-Einer auf der Roten Weißeritz vor 30 000 begeisterten Zuschauern, nach zwei dramatischen Rennen den Einzel-WM-Titel. Tafeln im Rabenauer Grund erinnern noch heute daran. Frau Gläser war sogar unter den Top-Ten der besten Sportler des Jahres 1965 der BRD. Und Ihr Geheimrezept für eine lange glückliche Ehe? »Achtung voreinander, Toleranz, viele gemeinsame Interessen und sich als Persönlichkeit gegenseitig leben lassen.« so die Jubilare.

Gratulation dafür von uns, Anerkennung und Achtung dazu - sowie viel Glück und Gesundheit zur Eisernen Hochzeit.


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