Soziale Gerechtigkeit
Gibt es soziale Ungleichheit in Deutschland? Von sozialer Ungleichheit spricht man, wenn Gruppen von Menschen in der Gesellschaft besser oder schlechter gestellt sind als andere. Weil zum Beispiel Einkommen, Vermögen oder auch Bildung und Aufstiegschancen ungleich verteilt sind und diesen Gruppen regelmäßig bessere oder schlechtere Chancen im Leben bieten. In Deutschland ist Reichtum sehr unterschiedlich verteilt. Zehn Prozent der Menschen besitzen 64 Prozent des gesamten Vermögens. Klar ist: Wer in ein reiches Elternhaus geboren wird, hat mehr Möglichkeiten als ein Kind, das in einer Unterkunft für Geflüchtete aufwächst. Solche individuellen Unterschiede gibt es in jeder Gesellschaft. Ein Sozialstaat versucht, große Gegensätze auszugleichen und möglichst vielen eine Chance auf sozialen Aufstieg zu bieten. Die nimmt aber für Langzeitarbeitslose und Arme hierzulande seit Jahren ab. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein armer Mensch fünf Jahre später weiterhin in Armut lebt, lag Ende der 1980er bei 40 Prozent. Heute sind es 70 Prozent. Innerhalb Deutschlands gibt es auch regionale Unterschiede. Arbeitslosigkeit und schlecht bezahlte Jobs sind in Ostdeutschland häufiger als in Westdeutschland. Und im ganzen Land sind weniger als zwei Prozent der Spitzenpositionen von Ostdeutschen besetzt. Ist das überhaupt ein Problem? Jetzt könnte man auch mit den Achseln zucken, das Leben bietet eben unterschiedliche Chancen, jede Person hat andere Stärken. Aber häufig ist der Grund nicht die individuelle Leistung, sondern strukturelle Ungleichheit. Etwas also, auf das die Politik Einfluss nehmen könnte. Wenn sozialer Aufstieg für viele Menschen unerreichbar bleibt, gefährdet das auch den Frieden untereinander. Soziale Ungleichheit führt zu gesellschaftlichen und politischen Spannungen. Die Frage der sozialen Gerechtigkeit findet sich deshalb in allen großen Themen der Zukunft, die wir in dieser Reihe behandelt haben: Klima, Wirtschaft, digitaler Wandel, Verkehr und Zuwanderung. Welche Auswirkungenhat die Pandemie auf soziale Gerechtigkeit? Die Coronakrise hat bestehende Ungleichheiten in einigen Bereichen verstärkt. Andererseits hat sie bestehende Probleme sichtbar gemacht. Als zu Beginn der Pandemie die miserablen Arbeitsbedingungen in der Pflege zum Thema wurden, beschloss der Bundestag einmalige Sonderzahlungen für Pflegekräfte. Ein neues Gesetz sichert Altenpflegerinnen und Pflegern zu, nach Tarif bezahlt zu werden. Und als sich immer mehr Mitarbeitende von Schlachthöfen mit Corona infizierten, beschloss die Politik neue Mindeststandards für die Unterkünfte und verbot Leiharbeit in der Fleischverarbeitung. Manches hat sich also verbessert, anderes nicht. In der Pandemie haben in den unteren Einkommensgruppen mehr Menschen ihre Arbeit verloren, als unter den Besserverdienenden. Minijobber wurden oft nicht mehr gebraucht und erhielten keinen Lohn mehr. Wegen fehlender Sozialversicherung konnten sie auch kein Kurzarbeitergeld bekommen. Die Corona-Maßnahmen trafen manche Branchen außerdem stärker als andere. Frauen arbeiten dabei eher in den Bereichen, die sehr stark von Kontaktbeschränkungen betroffen waren, zum Beispiel in der Gastronomie, Kultur und Tourismus. Was könnte die neue Regierung tun? Eine zentrale Aufgabe der Politik ist generationsübergreifende Armut zu verhindern. Das heißt: Der Wohlstand einer Person und ihre Chancen sollen nicht wie im Mittelalter nur davon abhängen, ob sie in eine Adels- oder Bauernfamilie geboren wird. Trotzdem gilt in Deutschland: Je höher das Einkommen der Eltern, desto höher ist im Durchschnitt das Einkommen der Nachkommen. Wie mehr ähnliche Chancen für alle geschaffen werden können, dazu gibt es unterschiedliche Ideen der Parteien. Mehr Bildung oder Förderung von Eigentum zum Beispiel. Der Bund kann dabei aber nur zum Teil Einfluss nehmen. Schulen und Hochschulen sind Ländersache. Wie gut eine Grundschule ausgestattet ist, entscheidet das Bundesland. Der Bund kann aber finanziell eingreifen. Das Deutschland-Stipendium und Bafög werden vom Bund finanziert. Und Daten zeigen, dass Geld ein Hauptgrund ist, warum Kinder aus Familien ohne Studium nicht zur Universität gehen. Ein anderes drängendes Problem: Besonders in Großstädten steigen die Mieten und Kaufpreise seit Jahren, auch weil es viel zu wenig Wohnungen gibt. Die Lösungsvorschläge der Parteien sind vielfältig. Es gibt zum Beispiel Ideen, eine bundesweite Mietobergrenze einzuführen, die Bauförderung auszuweiten, Bodenpreise zu deckeln, Baugenehmigungen zu beschleunigen oder das Bauen von bezahlbaren Wohnungen verpflichtend zu machen. Ist die Rente sicher? Klar ist: Es wird ungemütlich. Je älter die Bevölkerung in Deutschland wird, desto mehr gerät die Rentenkasse unter Druck. Denn die Rente beruht auf einem Generationenvertrag. Die jeweils arbeitende Generation zahlt die Rente der Älteren. Dafür bekommen die Jungen zugesichert, selbst auch einmal Rente von der folgenden Generation zu erhalten. Wenn aber immer weniger Menschen in Deutschland geboren werden und Rentnerinnen und Rentner gleichzeitig im Schnitt älter werden, muss jeder Erwerbstätige für immer mehr Rentner aufkommen. Das kann auf lange Sicht nicht funktionieren. Künftige Rentner werden deshalb immer weniger Geld bekommen und gleichzeitig müssen die Arbeitenden immer mehr einbezahlen. Schon jetzt muss der Staat regelmäßig Löcher in der Rentenkasse mit Steuergeld stopfen. Und für rund eine halbe Million Menschen reicht die Rente schon aktuell nicht zum Leben. Sie bekommen deshalb eine staatliche Grundsicherung. Von den Parteien gibt es verschiedene Ideen, um die Rente zu sichern: länger als 67 arbeiten, mehr Menschen zur Einwanderung nach Deutschland motivieren, Beiträge erhöhen, Renten kürzen oder Selbstständige und Beamte einbeziehen. Sie zahlen bisher nämlich nicht in die staatliche Rentenkasse ein. Welcher Vorschlag am Ende umgesetzt wird, entscheidet die zukünftige Regierung.