Weihnachten liebevoll und kraftvoll feiern
Am Sonntag leuchtet die vierte Kerze auf dem Adventskranz. Was verbinden Sie mit dieser Kerze?
Karl Naumann: Emotional verbinde ich damit, dass die Adventszeit zu Ende geht. Am vierten Advent merkt man, wie die ganze Aufregung des Advents und der Vorbereitung langsam abklingt. Das meiste ist geschafft.
Zwei Tage später ist Heiligabend, die Weihnachtszeit beginnt. Doch inwieweit dürfen und sollten wir Weihnachten feiern, während in Europa Krieg herrscht und Menschen sterben?
Ich plädiere dafür, dass wir Weihnachten so innig, so liebevoll und so kraftvoll feiern, wie es nur möglich ist – gerade weil Menschen in Europa sterben. Weihnachten bedeutet, dass Gott in die Welt kommt und uns seine Liebe schenkt. Es ist das Fest der Liebe.
An Weihnachten erleben wir, dass Gott nicht bei sich bleibt, sondern uns gleich wird, um uns zu zeigen, dass wir – egal, was wir tun – geliebt sind. Wenn wir das wirklich verstehen, kann es unsere Seele aufrichten und uns davon abhalten, andere zu hassen oder Gewalt auszuüben. Stattdessen können wir andere Menschen – auch Fremde – in der gleichen Liebe sehen, in der wir selbst geliebt sind.
Die Liebe, die wir zwischen Menschen haben, ist immer irgendwie ein bisschen bedingt. Aber die Liebe Gottes ist unbedingt.
Wir sollten Weihnachten so gut es geht feiern, weil wir dann diese Liebe erfahren und mit dieser Liebe anderen Menschen begegnen. So können wir zum Frieden beitragen – hier bei uns, der dann auch Kraft in der Welt findet.
Frieden spielt eine zentrale Rolle in den Weihnachtserzählungen, insbesondere im Lukasevangelium. Seine Engel singen: »Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens!« Diese friedvolle Botschaft steht im Gegensatz zur oft konfliktreichen Realität – früher wie heute. Was sollten oder können wir derzeit aus dieser Botschaft für uns mitnehmen?
Der Frieden, der hier gemeint ist, ist kein Frieden, der politisch erzwungen wird und gewaltsam erhalten bleiben muss, sondern es geht um den inneren Frieden, der einen äußeren Frieden hervorbringt. Erst, wenn man mit sich selbst im Reinen ist und frei von Angst leben kann, dann ist das ein Frieden, der vom politischen Frieden unabhängig ist oder sein kann. Wenn man innerlich konsolidiert ist, kommt man auch mit der schlechten Laune des Nachbarn klar und kann ihm vielleicht sogar helfen. Das ist der Plan und der Wunsch Gottes.
Es geht ganz klar um Liebe und nicht um Ehrfurcht und Demut – Dinge, die man erzwingen kann. Liebe kann man nicht erzwingen. Gott versucht es mit der werbenden Liebe in Christus. Er kommt und sagt: »Ich kann dich nicht zwingen, aber wenn du mir folgst, wirst du verstehen, dass meine Liebe größer ist als das, was du begreifen kannst.« Das ist der Weg, der uns diesen Frieden innerlich und dann auch äußerlich schenken kann.
Eine viel diskutierte Frage ist, warum ein allmächtiger und gütiger Gott überhaupt Leid auf der Welt zulässt. Manche sprechen davon, Leid sei eine Herausforderung, an der Menschen wachsen und sich entwickeln können. Wie betrachten Sie diese Frage?
Gott kann seine Allmächtigkeit durchsetzen. Im Alten Testament lesen wir, dass er dies mehrfach versucht hat und dabei gemerkt hat, dass der Mensch ist, wie er ist. Gott hat den Menschen im Paradies als sein Ebenbild erschaffen, und das bedeutet auch, dass er ihm Freiheit gegeben hat. Doch als der Mensch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse aß, fiel er aus dem Paradies in diese, unsere Welt, wie wir sie heute wahrnehmen. Hier sind wir durch wilde Tiere und andere Menschen bedroht. Mit diesem Sündenfall haben wir ein Bewusstsein erlangt, das es uns ermöglicht, über uns selbst nachzudenken, uns einzuordnen und die Fähigkeit verleiht, uns zwischen Gut und Böse zu entscheiden, Frieden zu stiften oder Krieg zu führen.
Zurück zur Kerngeschichte der Weihnacht: Vor Jesu Geburt nahmen Joseph und seine schwangere Frau Maria die Reise von Nazareth nach Bethlehem auf sich. Sie folgten dem Aufruf einer Volkszählung, heißt es in der Weihnachtserzählung nach Lukas. Welche Bedeutung hat diese Reise für die Weihnachtsgeschichte?
Bethlehem spielt hier eine bedeutende Rolle aufgrund der Verheißung des Propheten Micha, dass aus der kleinen Stadt Bethlehem der König hervorgehen soll. Deshalb machen sich Joseph und Maria auf den Weg dorthin. Der Verlauf der Reise wird nicht weiter beschrieben, da er für die Erzählung nicht von Bedeutung ist.
Interessant ist in dem Zusammenhang ist der Geburtsort: Jesus als Sohn Gottes wird nicht in einem Palast oder in einer guten Stube, sondern in einem Stall oder in einer Grotte geboren. Ist das eines Gottessohnes nicht unwürdig?
Durch seinen Sohn kommt Gott in diese Niedrigkeit, weil gerade dieser Ort der stärkste und mächtigste ist, um seinen Weg zu verkünden. Wer als König im Palast geboren wird, hat mit Machtgefällen, Neid und Gier zu kämpfen. Doch durch die Begegnung mit der Niedrigkeit kann Gottes Botschaft der werbenden Liebe unvoreingenommener aufgenommen werden, ohne dass die Menschen sich selbst rechtfertigen können.
Mit der Geburt seines Sohnes macht Gott einen Schritt auf die Menschen zu? Was sagt das über Gottes Wesen aus?
Diese Menschwerdung ist der Punkt, an dem die Liebe als bedingungslos verstanden wird. In Christus zeigt er uns, dass es nicht darum geht, wie wir uns verhalten, sondern um die Liebe, mit der Gott uns bedingungslos begegnet. In Christus erkennen wir, wie Lutter sagt, den gnädigen Gott.
Was ist für Sie persönlich Kern der Weihnachtsgeschichte?
In dieser Menschwerdung Christi wird Gottes unbedingte Liebe uns Menschen offenbar. Sie wirbt in Weihnachten darum, dass wir sie annehmen und aus ihr zu leben sollen, damit Frieden in uns und für die Welt entsteht.
Weihnachten ist für viele Menschen das »Fest der Familie« und das »Fest der Liebe«. Was sind Ihre Erfahrungen?
Es ist auf jeden Fall immer die Zeit, in der die Familie zusammenkommt. Dass es das »Fest der Liebe« wird, ist auch immer der Wunsch, und es gibt auch oft den Moment, in dem man es so empfindet. Doch wenn Familien zusammentreffen, gibt es oft auch kleine Geschichten, die zu einem Verhalten führen, das nicht immer leicht ist. Daher kann ich mir vorstellen, dass in vielen Familien auch heimlich Tränen verdrückt werden, damit man dieses Miteinander aushält. Hier spielt die Angst der menschlichen Liebe mit hinein: Wenn man diesen Konflikt anspricht, um ihn zu klären und dadurch Frieden zu schaffen, hat man Angst, die Beziehung zu zerstören. Denn diese Liebe zwischen den Menschen ist bedingt und nicht unbedingt. Deshalb werden diese Tränen unterdrückt, weil man es über diesen kurzen Zeitraum aushalten kann und danach wieder in friedlicher Distanz zueinander leben kann - anstatt die Probleme, die man miteinander oder auch selbst hat, irgendwie anzugehen.
Der Zauber der Weihnacht entsteht durch die Sehnsucht nach dieser unbedingten Liebe, die eben nicht mehr verkrampft ist. Dieses Ideal feiern wir. Daran wollen wir uns orientieren, und wir stellen fest, dass wir scheitern. Aber wenn wir dieses Ideal aufgeben, dann scheitern wir sowieso immer. Also wäre es besser, die Adventszeit als Fastenzeit zu nutzen, um die Schwierigkeiten, die man miteinander hat, zu beräumen. Und zu Weihnachten trifft man sich dann und feiert die Liebe in ihrem Ideal. Dann wird einem bestimmt wärmer ums Herz, als wenn man sich vorher nicht ausgesprochen hat.
Es gibt aber auch Menschen, die einsam sind und unter dem Fest der Familie und dem Fest der Liebe stark leiden. Für sie ist es immer eine Herausforderung, dieses Fest zu erleben.
Oft werden viel zu hohe Erwartungen an das Fest gestellt. Alles soll perfekt und schön sein. Ist da ein Scheitern nicht bereits vorprogrammiert?
Scheitern setzt die Erkenntnis des Scheiterns voraus - vielleicht gehört das gerade zu diesem Fest. Wer meint, sein Leben vollkommen in der Hand zu haben, ist taub für die Liebe Gottes. Doch wenn er merkt, dass seine Pläne scheitern, kann er in der Verzweiflung begreifen, was es heißt, bedingungslos geliebt zu werden.
Verzweiflung zeigt, dass man sich für ungenügend hält, doch entscheidend ist, dass man genügt. Scheitern steht oft in Verbindung mit bedingter Selbstliebe: Man liebt sich nur, wenn man erfolgreich ist. Doch Gott sagt: ›Weil ich dich liebe, kannst du dich auch lieben, egal, wie du scheiterst. Dein Wert hängt nicht von deinem Erfolg ab, sondern davon, dass ich dich liebe - unbedingt.‹
Weihnachten bedeutet auch, dass das Scheitern der Weg ist, diese Liebe zu erkennen.
Traditionell gibt es Heiligabend Krippenspiele - auch in Ihrer Kirchengemeinde in Ruhland. Wie wichtig sind diese Krippenspiele für die Christvespern?
Krippenspiele haben eine vielfältige Bedeutung. Zum einen haben sie einen pädagogischen Aspekt: Sie bringen den Kindern, die daran teilnehmen, die Weihnachtsgeschichte nahe. Diese wird durch das Spiel lebendig und leichter verständlich, als wenn sie nur vorgelesen würde. Zum anderen tragen Krippenspiele zur Festvorbereitung bei. Je mehr Engagement und Energie in die Vorbereitung gesteckt wird, desto festlicher wird das Fest, und es gewinnt an Bedeutung.
Darüber hinaus schaffen Krippenspiele eine besondere Wärme und Nähe. Gottesdienste wirken lebendiger und schöner, wenn sich viele Menschen aktiv beteiligen. Beim Krippenspiel sind oft zahlreiche Personen eingebunden - nicht nur die Kinder, sondern auch ihre Familien. Das führt dazu, dass viele Angehörige der Kinder in den Gottesdienst kommen, sodass oft mehrere Hundert Menschen in der Kirche versammelt sind. Besonders der gemeinsame Gesang in einer so vollen Kirche entfaltet eine beeindruckende Wirkung.
Krippenspiele verdeutlichen auch, dass Weihnachten ein Fest für alle ist. Selbst in einer Zeit, in der die Kirche keine Volkskirche mehr ist, bleibt das Krippenspiel ein wichtiges Bindeglied.
• Kirchliche Termine am 24. Dezember in der Kirchengemeinde Ruhland