

65 Händler in Niesky erklären sich solidarisch mit den Beschäftigten des Waggonbaus. Sie hängen Plakate mit historischen Fotos und Texten zum Waggonbau in ihre Schaufenster. Darauf zu lesen: Niesky handelt! Mitorganisiert hat die Aktion Citymanager André Schulze: "Es ist wichtig, dass man sich in der Gesellschaft und besonders in einer so kleinen Stadt wie Niesky gegenseitig unterstützt und hilft." Er sprach in den vergangenen Wochen mit vielen Beteiligten, um Ideen zu sammeln und herauszufinden, wie man die Waggonbauer unterstützen und mehr Aufmerksamkeit auf das Thema lenken kann. Ein erstes Resultat ist die Aktion vom Dienstag, bei der Händler und Waggonbauer Seite an Seite stehen. Modehändlerin Steffi Dunsch bringt es kurz und knapp auf den Punkt: "Kein Waggonbau, keine Kaufkraft!" So sieht es auch Corina Friedrich, Händlerin in der Ödernitzer Straße: "Wenn der Waggonbau weg ist, sind auch die Kunden weg."
Statt einer 15. Mahnwache mit Feuertonne vor dem Werktor trafen sich die Beschäftigten und ihren Familien am 21. Februar gemeinsam mit solidarischen Bürgerinnen und Bürgern zu einer bewegten Mahnwache durch Niesky. Auch, um den Händlern zu danken. Der sächsische Wirtschaftsstaatssekretär Thomas Kralinski sicherte den Beschäftigten die Unterstützung des Freistaates zu. "Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Waggonbau Niesky leisten seit jeher eine ausgezeichnete Arbeit. Ihre Erfahrung wird weiter gebraucht - denn es muss uns gelingen, mehr Güter auf die Schiene zu bringen. Dafür benötigen wir eine starke heimische Waggonproduktion." So würden auch Wertschöpfung und Innovation in Sachsen gehalten, was gerade der Lausitz wichtige Impulse im Strukturwandel gebe. Deshalb wolle das sächsische Wirtschaftsministerium den Waggonbau Niesky mit allen Möglichkeiten unterstützen. "Konkrete Maßnahmen können aber erst greifen, wenn das Unternehmen eben diesen Unterstützungsbedarf konkretisiert und damit eine Prüfung von bestimmten Förderinstrumenten des Freistaates möglich ist. Das Wirtschaftsministerium erwartet vom Eigentümer, konkrete Pläne für die Zukunft des Standorts Niesky vorzulegen und ist jederzeit zu konstruktiven Gesprächen mit der Geschäftsführung bereit."
Peter Jurke, Betriebsratsvorsitzender im Waggonbau Niesky, sieht in der Solidarität der Händler in Niesky ein wichtiges Zeichen, dass nicht nur die IG Metall und die Politik an ihrer Seite stehen. "Unsere Kolleginnen und Kollegen erleben seit Jahren, dass Fachkräfte abwandern. Sie brauchen ein klares Zeichen, dass es weitergeht in Niesky. Nicht auszudenken, was Niesky verlieren würde. Wir bleiben dabei: Der Waggonbau Niesky ist der letzte Güterwagenhersteller Deutschlands. Er muss leben."
Seit 2022 fordern die Beschäftigten den Eigentümer des Waggonbau Niesky, Alexej Beljajev, zu Gesprächen auf. Sie sorgen sich um das Fortbestehen des Standortes. Die erste Mahnwache gab’s im November. IG Metall Ostsachsen und Betriebsrat betonen die Dringlichkeit der Gespräche, da im April die Kurzarbeit am Standort ausläuft. Die IG Metall fordert weiterhin gemeinsam mit den Beschäftigten und dem Betriebsrat den slowakischen Eigentümer zu Verhandlungen über konkrete Maßnahmen zu Perspektive, Struktur und Strategie für den Waggonbau Niesky auf.
Mehrere Schreiben der Landesregierung, um deren Unterstützung der Betriebsrat und die IG Metall Ostsachsen gebeten hatten, blieben bis heute ohne konkreten Gesprächstermin. Bereits im September 2022 hatte sich ein Zukunftsteam aus Wissensträgern des Standorts gebildet. Gemeinsam haben sie ein Sofortmaßnahmeprogramm erarbeitet, das dem Eigner und der sächsischen Landesregierung zugeschickt wurde. Zuletzt gab es zumindest ein kleines Zeichen vom Eigentümer. Vertretern der Landesregierung wurde ein Gespräch in Aussicht gestellt. Der Termin dafür ist laut IG Metall aber noch offen.
Auch der Landkreis und die Nieskyer Stadtverwaltung sind auf Lösungssuche für eine Zukunft des Schienenfahrzeugstandorts. Am 21. Februar fand dazu ein Treffen in Niesky statt, bei dem Oberbürgermeisterin Kathrin Uhlemann und Vertreter der Kreisverwaltung verschiedene Experten empfingen. Unter ihnen den Prorektor der TU Chemnitz, Prof. Dr. Uwe Götze, sowie Vertreter des Instituts für Bahntechnik und des Sächsischen Wirtschaftsministeriums. Neben einem Besuch des Waggonbaus stand auch eine Präsentation des Smart Rail Connectivity Campus in Annaberg-Buchholz auf dem Plan. „Wir wollen verstehen und nachzeichnen, wie eine zukunftsfähige Entwicklung eines Bahntechnologiestandorts gelingen kann. Wie müssen Kooperationen und Strukturen aussehen? Wie kann der Strukturwandel dies unterstützen“, so Uhlemann. Die Oberbürgermeisterin reist dann Ende März nach Annaberg-Buchholz und besucht das „Zentrum für Forschung, Entwicklung, Erprobung und Befähigung zur Zulassung im Innovationsfeld Intelligenter Schienenverkehr“ (auch bekannt als Smart Rail Connectivity Campus, kurz SRCC).
Die Geschichte des Waggonbaus in Niesky ist lang. 1917 begann die Firma Christoph & Unmack (ursprünglich gegründet 1835) Schienenfahrzeuge wie Güter-, Post-, Reisezugwagen und Straßenbahnen herzustellen. Seit 1990 gab es viel Bewegung in Sachsen Eigentümer und Firmierung. Das Unternehmen firmierte zunächst als Waggonbau Niesky GmbH innerhalb der Deutschen Waggonbau AG (DWA). 1996 wurde die DWA privatisiert. Zwei Jahre später übernahm Bombardier das Ruder. 2005 gelang der Start in die Eigenständigkeit als WBN Waggonbau Niesky GmbH. 2008 folgte die Übernahme durch die Deutsche Bahn. 2014 wurden der Waggonbau von der Quantum Capital Partners AG aus München übernommen, ehe 2019 der nächste und bisher letzte Wechsel anstand. Aktuell gehört der Waggonbau zum slowakischen Güterwagenhersteller Tatravagonka.