» Zu uns kommt die ganze Welt«
Eine Kamenzer Telefonnummer. Anruf. Man wolle sich die Pilgerherberge auf dem Hutberg anschauen, erklärt man. Am anderen Ende der Leitung ist Claudia Zickler, die sofort klarstellt, das man sich wohl verwählt habe, in der Pilgerherberge im Kamenzer Ortsteil Schwosdorf gelandet sei. Die Herbergsmutter nutzt das Momentum, lädt zu einem Besuch in die örtliche Pilgerherberge ein. Die resolut-wirkende Frau lässt nicht locker. Also macht man sich auf den Weg in den 140 Seelen zählenden Ort. In dem im zwölften Jahrhundert erstmals erwähnten Dorf mit den pittoresken Fachwerkhäusern kreuzen sich einige Wanderwege, auch die Via Regia, der in Görlitz beginnende 460 Kilometer lange ökomenische Pilgerweg, der im thüringischen Vacha endet, führt durch Schwosdorf.
Seit 2006 Übernachtungsstätte
Zu den touristischen Highlights der vor fünf Jahren eingemeindeten Ortschaft gehören neben einer alten Postmeilensäule die an der Landstraße 28 gelegene Pilgerherberge. Das Wal- und Wüsteberghaus gehört dem nach der Wende gegründeten gleichnamigen Verein »PRO Wal- und Wüsteberg«, ist seit 2006 Übernachtungsstätte für Pilger, Wanderer, Familien und Schulklassen. Die Herberge wirkt an diesem hochsommerlichen Augustnachmittag einladend, im Garten hängen Wimpel, Weinreben schlängeln sich an der Hauswand empor, gemütliche Sitzecken im Garten laden zum Verweilen ein. Ferienlektüre gibt es in der Bücherzelle, die seit dem vorigen Jahr auf dem Grundstück steht. Ruhig ist es, nur ab und an fährt ein Auto vorbei. Die 52-jährige Herbergsmutter ist bereits da, kurz darauf kommt Ina Schreiber (49) vorbei. Die ehemalige Zahntechnikerin arbeitet seit September 2023 als Projektmanagerin im derzeit zehnköpfigen Verein. Zu ihrem Job gehört es, die von den Bewohnern auch als Herta-Haus (so hieß die frühere Besitzerin, die bis in die 90er Jahre den einzigen Laden im Ort führte) bezeichnete Herberge bekannter zu machen. Das Gebäude habe »speziellen Charme und eine besondere Energie«, findet Claudia Zickler, die aus dem Ort stammt.
Auf einem Rundgang geht‘s zuerst in die Kreativstube, wo jeder, gegen einen kleinen Obolus, seiner Töpferleidenschaft nachgehen kann, gegenüber liegt das Esszimmer, umrahmt von steinernen Wänden, im Erdgeschoss gibt es noch einen Selbstversorgerladen mit Küche. Im ersten Stock befinden sich Zwei- und Dreibettzimmer. Das Schlafzimmermobiliar stammt aus den 30ern des vergangenen Jahrhunderts. Viel Retro, eine Menge Geschichte. Dach, Fensterrahmen, Treppen und sanitäre Anlagen sind neu. Auf dem Dachboden können, bei Bedarf, Schulklassen oder Wandergruppen nächtigen. Seit 2017 gibt es eine barrierefreie Sanitäranlage. Wer mit dem Pferd unterwegs ist, kann dies auf einer nahegelegenen Koppel unterstellen, Zelten ist auf dem Grundstück auch möglich. Die Unterhaltungskosten des Hauses werden aus Spenden, Fördermitteln und Mitgliedsbeiträgen finanziert.
Bis zu 250Pilger im Jahr
Mit ihrer lebensnahen und fürsorglichen Art sorgt sie für entsprechende Wohlfühl-Atmosphäre in dem Mitte des 19. Jahrhunderts gebauten Haus. Sie erzählt von zahlreichen Begegnungen, davon, dass sie sich freut, das »die Welt in unseren Ort kommt«. Nachdem 2006 Hape Kerkelings Buch »Ich bin dann mal weg« erschienen war, in dem der Entertainer seine Erlebnisse auf dem Jakobsweg beschreibt, sei auch in der Kamenzer Region die Zahl der Pilgerreisenden gestiegen, so Ina Schreiber. Aus Kanada, den USA, Südamerika und Asien, aus allen Regionen der Welt kommen sie nun nach Schwosdorf. Als die Herberge vor 18 Jahren öffnete, waren es im ersten Jahr nur drei Pilger, denen Claudia Zickler den Hausschlüssel aushändigte. Mittlerweile machen dort pro Jahr bis zu 250 Pilger Station.
Wer die ganzjährig geöffnete Herberge nutzt, der schätze auch »unsere familiäre Atmosphäre«, so Claudia Zickler. Kommt vor, dass sich der ein oder andere öffnet, seine Lebensgeschichte erzählt. »Man kann von jeder Begegnung was fürs sich mitnehmen«, findet Projektmanagerin Schreiber.
Claudia Zickler hat es 2011 auch mit dem Pilgern versucht. »Ich wollte mal selbst erfahren, was das Faszinierende daran ist.« Drei Tage war sie unterwegs, von Schwosdorf ging es über Großenhain bis zur Elbe. Ihre Erkenntnis: »Die kurze Zeit hat mich frei gemacht, ich konnte mich aufs einfache Leben konzentrieren.« Am 29. September findet im Wal- und Wüsteberghaus das traditionelle Weinfest statt. Ab 11 Uhr treffen sich dort Bewohner, Menschen aus der Umgebung, um gemeinsam zu feiern. Eine gute Gelegenheit, sich die Pilgerherberge in Kamenz-Schwosdorf anzuschauen.
Ansprechpartnerin für Pilger ist Claudia Zickler unter Tel. 01522/ 703 45 31.