Es geht um mehr als Agrardiesel
Insgesamt 36 Demonstrationen hatte die Polizei am 8. Januar in den Landkreisen Görlitz und Bautzen gezählt. In der Spitze seien etwa 2.000 Traktoren, Lkw und Pkw zeitgleich auf den Straßen unterwegs gewesen. Es gab Blockaden an den Autobahnauffahrten zwischen Hermsdorf und dem Grenzübergang zu Polen, fünf Traktoren- und Autokorsos, unter anderem von Bautzen und Bischofswerda nach Dresden sowie einen durchs Görlitzer Stadtgebiet. Das alles war Auftakt einer Protestwoche und verlief laut Polizei friedlich. Längst nicht alle, die am Montag protestieren, sind Bauern. Von der Handwerkerin bis zum Spediteur gab es aus anderen Branchen viel Solidarität.
Ein ähnliches Bild zeigte sich an dem Montag auch im Rest des Landes, weswegen Joachim Rukwied, der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, an dem Tag ein positives Fazit zog: »Das war ein erfolgreicher Start in unsere gemeinsame Aktionswoche. Landwirtinnen und Landwirte haben heute mit rund 100.000 Traktoren in ganz Deutschland ein deutliches Zeichen in Richtung Bundesregierung gesetzt, die Steuererhöhungspläne gänzlich zurückzuziehen. Die Demos liefen geordnet ab. Das zeigt, dass es unseren Landwirtinnen und Landwirten um die Sache geht. Auch der Rückhalt in weiten Teilen der Bevölkerung für unser Anliegen wurde heute auf den Straßen deutlich sichtbar.«
Das Fass ist übergelaufen
Bei den Aktionen am Montag und auch den darauffolgenden Aktionen und Demos etwa in Dresden und Berlin geht es um mehr als den geplanten Wegfall der Steuerbegünstigung für Agrardiesel und die bereits zurückgenommene aber ursprünglich ebenfalls geplante Streichung der Befreiung der Forst- und Landwirtschaft von der Kfz-Steuer. Deswegen liest und hört man dieser Tage viel vom Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. So gab und gibt es immer wieder neue Auflagen, etwa bei der Tierhaltung, beim Düngerecht und in der Bodenbewirtschaftung. Das sorgt für mehr Aufwand, steigende Kosten und auch für Planungsunsicherheit.
Wirtschaftlich ging es laut Deutschem Bauernverband (DBV) zuletzt nach oben. Im DBV-Situationsbericht ist für die vergangenen beiden Jahre von einer »erheblich verbesserten wirtschaftlichen Situation die Rede. Nahezu alle Betriebsformen hätten in unterschiedlichem Umfang davon profitiert. Ausnahmen seien Wein- und Obstbaubetriebe. Trotzdem sieht der Verband die wirtschaftliche und agrarpolitische Lage skeptisch.
Grundsätzlich gehören in der Landwirtschaft Schwankungen dazu, auf gute Jahre folgen auch wieder schlechte, dann müssen rote Zahlen ausgeglichen werden. Die konkrete Skepsis des DBV liegt zum einen an bereits wieder sinkenden Erzeugerpreisen und zum anderen an der Tatsachse, dass Betriebe trotz erheblich verbesserter wirtschaftlicher Lage deutlich weniger investiert hätten. »Gerade in der Tierhaltung geht der starke Strukturwandel unvermindert weiter und führt zum Verlust von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung. Dass die Betriebe kaum in neue Ställe investieren, obwohl wichtige Zukunftsinvestitionen anstehen, ist alarmierend«, so DBV-Präsident Joachim Rukwied.
Dass die durch die Haushaltskrise aus dem Hut gezauberten Subventionskürzungen nur der berühmte Tropfen sind, sieht auch Udo Jentzsch so. »Es geht nicht nur um Agrardiesel und Traktorensteuer! Das ist zu einseitig und eng gesehen«, so der Geschäftsführer des Landesverbands Sächsisches Obst. Er sieht eine »Gefährdung unserer Existenz durch ein reichhaltiges Maßnahmenpaket von Verboten und Einschränkungen der Agrarpolitik sowohl aus Brüssel aber vor allem aus Berlin.« In Deutschland werde auf die EU-Vorgaben zu oft noch eine Schippe draufgelegt. Auch würden durch globale Überproduktion sinkende Erzeugerpreise und der steigende Mindestlohn der Wirtschaftlichkeit schaden. Gleiches gelte für Billigimporte. »Türkische oder griechische Kirschen werden im Laden billiger als unsere Produktionskosten angeboten«, so Jentzsch.
Dazu tragen auch ungleiche Standards bei. Während Deutschland einen Spitzenplatz in Bezug z.B. auf Lohn - und Umweltstandards sowie bei der Sicherheit im Umgang mit Pflanzenschutzmittel einnehme, dürfen gleichzeitig Importe von Obst und verarbeiteten Produkten aus Ländern mit wesentlich niedrigeren Standards im Handel verkauft werden, was zu einem ungleichen Wettbewerb führt. Außerdem fehlen in jeder Region Betriebsnachfolger. Dieses Potpourri an Problemen habe bereits dazu geführt, dass in den vergangenen zehn Jahren 18 Prozent der Obstbaubetriebe in Sachsen und Sachsen-Anhalt aufgegeben hätten.