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Eine Eule fliegt bald nach China

Der Spieltisch steht noch im Werkstattgebäude, die anderen Teile der Orgel sind schon verpackt. Am 23. März geht das Instrument des Bautzener Handwerkbetriebs „Hermann Eule Orgelbau“ auf eine große Reise.

„Wir verstauen gerade die Orgelteile sowie die Pfeifen aus Metall und Holz in speziellen Kisten, damit sie den langen Transport in Containern auf hoher See gut überstehen“, sagte Anne-Christin Eule, Geschäftsführerin der Hermann Eule Orgelbau GmbH. Der Orgelneubau kostet 1,3 Millionen Euro. Von Hamburg geht es direkt nach Xi’an im Nordwesten Chinas. In der dortigen Musikhochschule erhält die Orgel „Made in Bautzen“ ab Mai im neuen Konzertsaal für über 1.000 Zuhörer ihren Platz. Mit 4.000 Studierenden gehört das Konservatorium zu den renommiertesten Musikhochschulen im Reich der Mitte. Die Orgel zählt nicht zum chinesischen Kulturgut. In der Volksrepublik mit 1,4 Milliarden Einwohnern gibt es zurzeit nicht mehr als 25 Instrumente. In Deutschland gibt es ungefähr 50.000 Orgeln. Den Anstoß zum Neubau mit 63 Registern (Klangfarben), 4.083 Pfeifen und rund 14 Tonnen Gewicht für die Musikhochschule Xi’an gab Zheng Liu, Professor für Komposition an der Musikhochhochschule Lübeck und Xi‘an. Die Musikhochschule in Lübeck ist die Partnerhochschule von Xi’an. Nach ersten Gesprächen im Jahr 2012 wurde der Vertrag im November 2014 in Xi‘an unterzeichnet. „Es ist nicht nur ein Gefühl der Freude und des Stolzes, welches uns mit dem Auftrag verbindet. Wir haben völliges Neuland betreten und mussten uns auf eine völlig andere Kultur einstellen und einlassen. Das macht das neue Projekt so spannend“, sagte Anne-Christin Eule. Zur Seite stand dem mittelständischen Unternehmen der Dolmetscher und Landeskundler Jörg Hellwig aus Bautzen. Insgesamt steckten 40 Mitarbeiter der sächsischen Orgelbauwerkstatt mehr als 18000 Arbeitsstunden in das neue Instrument. Darunter auch Chuhan Huang. Sie macht seit September 2015 die Ausbildung zum Orgelbauer im Bautzener Handwerksbetrieb. Die 24-jährige Chinesin aus Xi’an spielt Klavier und Geige und hat bereits Gehörbildung studiert. In den kommenden drei Jahren wird sie an der Spree in die Kunst des Orgelbaus eingeweiht. „Zurück in der Heimat würden wir uns wünschen, dass sie sich dann fachkundig um unseren Neubau kümmert“, sagte Orgelbaumeister Dirk Eule, Geschäftsführer der Hermann Eule Orgelbau GmbH. Vorerst reisen sechs Orgelbauer unter der Leitung von Ralph Trompler Anfang Mai nach China, um das Instrument in den Konzertsaal einzubauen. Von Mitte Juni bis Ende Oktober 2016 geht Intonateur Johannes Adler an seine Arbeit. Er wird jede der 4.083 Pfeifen in ihrer Klangfarbe und – stärke sowohl auf den Raum als auch auf das Gesamtensemble aller Register optimieren. Die Einweihung ist für Ende Okober geplant. Xi’an zählt knapp acht Millionen Einwohner. Die Stadt wurde mit den archäologischen Ausgrabungen im Jahr 1974 weltbekannt, als über 8.000 lebensgroße Terrakotta-Soldaten in Gefechtsaufstellung entdeckt wurden. Nach dem Abbau der Orgel für Xi’an geht die Arbeit sofort weiter. So werden die Bautzener Spezialisten den Orgelneubau für den Kulturpalast in Dresden übernehmen. Neue Orgeln erhalten die Evangelische Kirche im österreichischen Graz und die Neustädter Marienkirche in Bielefeld. Darüber hinaus wird der Familienbetrieb die Silbermann-Orgel in Crostau sowie die Leopold-Kohl-Orgel im katholischen Teil des Bautzener Doms St. Petri restaurieren. Die Firma „Hermann Eule“ kennt sich aus mit Orgeln der Superlativen. Vor vier Jahren restaurierte der 1872 gegründete Handwerksbetrieb für die Katholische Pfarrkirche St. Johannes Baptist in Borgentreich eine der größten Denkmalorgeln Europas. Für die Mercatorhalle in Duisburg konstruierten die Bautzener Orgelbauer eine europaweit einmalige Neuanfertigung an. Ihr größtes Instrument bauten sie mit 103 Registern für die Leipziger Nikolaikirche. Insgesamt verließen bereits 689 Neubauten und über 100 historische Instrumente die Orgelwerkstatt in der Wilthener Straße. Im Jahr 2009 wurde der mittelständische Handwerksbetrieb als Orgelbauer des Jahres ausgezeichnet.


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