Lisa Neumeister

Optimistisch bleiben in Umbruchszeiten

Ein Interview mit dem geopolitischen Experten Ralf Schuster.

Ralf Schuster

Ralf Schuster

Bild: katthagen heike

Ralf Schuster ist geopolitischer Experte der Helaba – Landesbank Hessen-Thüringen. In dieserFunktion berät er deutsche und internationale Unternehmen und wird auch in Verbänden und politischen
Kreisen gehört. Sein Wissen über geografische Einflüsse auf Politik, Gesellschaft und Wirtschaft basiert auf 40 Jahren Berufserfahrung in zahlreichen Ländern und Kulturen. Heute wollen wir gemeinsam
versuchen, einige der komplexen Herausforderungen unserer Zeit zu beleuchten.


Das vergangene Jahr war geprägt von einer Vielzahl globaler und nationaler Umbrüche. Was
ist derzeit die größte Herausforderung unseres Planeten?


Wenn wir auf das letzte Jahr zurückblicken, sehen wir viele Krisen und Konflikte. Ein Beispiel dafür ist die Situation in Georgien, wo der Konflikt zwischen einer Annäherung an die EU oder
Russland auf den ersten Blick ideologisch erscheint. In meiner Wertung geht es aber tatsächlich oft um wirtschaftliche Perspektiven und die Möglichkeit, Lebensverhältnisse zu
verbessern. Wenn wir die Weltgeschichte betrachten, war da zuerst die Wirtschaft, bevor man überhaupt über Politik nachgedacht hat. Viele der aktuellen Krisen und Konflikte auf der Welt
sind stark dadurch getrieben, dass sich Menschen wirtschaftlich abgehängt fühlen. Dies wird häufig durch die Systeme verstärkt, in denen sie leben – sei es in Autokratien, Diktaturen oder
anderen Strukturen, die den Einzelnen kaum Mitspracherechte einräumen. Solange die wirtschaftliche Basis fehlt, bleibt aber der notwendige Aufschwung aus, der gesellschaftlicheVeränderung und politische Stabilität erst ermöglicht.


Wie kann dieser wirtschaftliche Aufschwung gelingen?


Aus meiner Sicht sind drei Basisfaktoren entscheidend. Zuerst ist Sicherheit ein essenzielles Fundament. Dabei ist Sicherheit nicht nur im militärischen Sinne zu verstehen. In Konfliktzonen
wie in Syrien bedeutet Sicherheit etwa, dass Menschen nicht in Bürgerkriege verwickelt sind, sicher zur Arbeit gelangen oder ihre Kinder gefahrlos zur Schule schicken können. Darauf
aufbauend ist die gesundheitliche Versorgung wichtig. Wenn diese beiden Grundpfeiler stehen, kommen wir zum entscheidenden Faktor Bildung. In diesem Bereich sehe ich auch für
Deutschland die Möglichkeit, dieses Gut zu exportieren, indem wir in anderen Ländern duale Ausbildungen anbieten. Wir haben ein gutes System gefunden, Theorie und Praxis zu
verknüpfen. Die Ausbildung würde es diesen Ländern ermöglichen, eigene Fachkräfte auszubilden, Arbeitsplätze zu schaffen und damit selbst einen wirtschaftlichen Aufschwung in
Gang zu setzen – ein Prozess, der langfristig selbstbeschleunigend wirken kann. Das Beispiel China zeigt uns, wie wichtig Bildungsbereitschaft für wirtschaftliche Bewegung und
gesellschaftlichen Wandel sein kann.


Wenn Sie eine geopolitische Entscheidung des letzten Jahres beeinflussen könnten, welche
würden Sie wählen?


Nur eine Entscheidung in der Geopolitik zu wählen, ist extrem schwierig. Denn es ist ungefähr so wie beim Newtonpendel. Es ist nicht möglich, aus dem Pendel eine isolierte Kugel
herauszuziehen. Alle anderen bewegen sich mit. Aber was mich umtreibt ist, wie es zwischen den USA und China so weit kommen konnte. Die jährliche Analyse des Australian Strategic
Policy Institute (ASPI) zeigte, dass China in 37 von 43 wichtigen Schlüsseltechnologien forschungstechnisch führt. Die wirtschaftlichen Machtverhältnisse haben sich verschoben. Das
sorgt für politische Unruhe. In den USA besteht der Glaube, dass der eigene Niedergang mit dem Aufschwung Chinas im Zusammenhang steht. Die Wahl von Trump machte deutlich, dass die
Amerikaner sich ihre wirtschaftlichen Herausforderungen eingestehen.


Oft fühlen sich diese Entwicklungen auf der anderen Seite der Welt wenig nahbar an. Wie
beeinflussen solche Geschehnisse unser Leben hier vor Ort?


Viele Produkte, die wir heute konsumieren und früher selber produziert haben, kommen aus Asien. Die Wirtschaft strebt stets nach Effizienz und Gewinnmaximierung, was auch dazu führt,
dass Arbeitsprozesse und Produktionsketten ins Ausland ausgelagert werden. Die persönliche Betroffenheit ist beim Einzelnen spätestens beim Verlust des eigenen Arbeitsplatz zu spüren.
Das betrifft insbesondere energieintensive Industrien, wie im Stahl- oder Mobilitätsbereich. Das liegt auch an dem Versuch Europas, grüner zu werden. Dadurch werden als umweltschädlich
bewertete Produktionsprozesse ausgelagert. Das führt zu einer paradoxen Situation: Während unser CO2-Ausstoß vor Ort sinkt, entstehen die Emissionen andernorts. Die Alternative wäre ein
kompletter Konsumverzicht auf Produkte, die nicht in Deutschland hergestellt werden. Dies würde wiederum Millionen von Arbeitsplätzen weltweit gefährden. Eine nachhaltige Lösung
könnte darin bestehen, dass Deutschland grüne Technologien weiterentwickelt und exportiert, um anderen Ländern beim Übergang zu einer klimafreundlicheren Wirtschaft zu helfen. Es ist
Zeit, mit kreativen und innovativen Ideen nach vorne zu denken.


Das ist sicher auch in der Lausitz angesichts des Strukturwandels ein wichtiges Thema.
Wie schätzen Sie das Tempo ein, in dem der Wandel vorangetrieben wird
?


Das Tempo kann bei den aktuellen globalen Herausforderungen nicht hoch genug sein. Wenn man hohes Tempo fährt, heißt das aber auch mehr Risiko. An der Stelle benötigen wir in
Deutschland mehr Fehlertoleranz. Fehler gehören zum Tun und führen zu Weiterentwicklung. Wir Deutschen neigen dazu, zu kontrollieren und zu regulieren. Damit demotiviert man aber
diejenigen, die versuchen, neue Ideen voranzutreiben. Für den Strukturwandel brauchen wir Freiraum, Mut zur Veränderung und ein Umdenken. Wir haben viele kreative Köpfe. Mit unserer
geografischen Lage sind wir hervorragend ausgerichtet. Unsere Infrastruktur, die landwirtschaftlichen Flächen und Flüsse. Wir haben hier ein tolles Grundstück. Das würden
einige auf dieser Welt auch gerne haben. Den Herausforderungen, die mit solch einem Grundstück einhergehen, müssen wir mit Kreativität und Innovation begegnen.


Die vergangenen Landtagswahlen zeigten jedoch, dass die gesellschaftliche Spaltung nicht
geringer wird. Wie sollen hier alle gemeinsam nach vorne blicken?


Die Veränderung, die unser Land benötigt, muss idealerweise aus einer demokratischen Mitte und einer breiten Mehrheit kommen. Was kann ich als Einzelperson dabei tun? Das Erste ist es,
unbedingt wählen zu gehen. Das Zweite ist, man müsste als Demokrat eigentlich noch viel mehr machen. Wir scheinen augenscheinlich schwer daran arbeiten zu müssen, dass sich
Menschen wieder gehört fühlen. Da sollten wir zu einer Auseinandersetzungskultur zurückkehren. Das ist dann auch damit verbunden, extremem Positionen zuzuhören, um dann
Schnittmengen zu finden und als Gesellschaft nach vorne zu gucken. Und wer diese Zersplitterung nicht für gefährlich hält, kann in andere Länder schauen, denen wir genau diese
Polarisierung vorwerfen.


Zum Abschluss: Wie können sich die Lausitz, ihre Menschen und Unternehmen bestmöglich
auf bevorstehende Umbrüche vorbereiten?


Da ist die Psychologie des Einzelnen unglaublich entscheidend. Wenn viele optimistisch sind, dann wird es auch optimistisch. Dieser Glaube erstreckt sich dann idealerweise auch auf die
Politik. Es ist wichtig für alle, sich einzubringen. Wer sich abduckt, hat keine Ideen mehr. Wir haben uns als Land immer wieder bewiesen. Sicher mit etwas Glück, aber auch mit Leistung.
Wir brauchen diesen Zweckoptimismus. Auch um zu würdigen, wo wir leben, wie wir leben, und wie Menschen für uns gelebt haben, damit wir heute so dastehen. Das ist auch eine
Verantwortung, die wir tragen. Und wir werden immer mal wieder ein Dach haben, was undicht wird. Dann müssen wir das reparieren. Wir müssen auch immer mal wieder zum Arzt. Dann
muss eben nachgeschaut werden. Jammern ist fehl am Platz, wenn ich auf die Weltkarte gucke. Unsere Startrampe ist global ganz vorne angesiedelt. Die Generationen vor uns haben viel
Leistung erbracht, die Startrampe so zu bauen, wie wir sie heute haben.

Vielen Dank für das Gespräch.


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