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Am 30. November hat(te) ein spartenübergreifendes Schauermärchen im Großen Haus des Staatstheaters Cottbus Premiere: "Der Sandmann" nach der Erzählung von E.T.A. Hoffmann. Co-Schauspieldirektor und Hausregisseur Philipp Rosendahl führte Regie.
Die 1817 geschriebene Geschichte hat den Studenten Nathanael zum Protagonisten. Der leidet unter einem Kindheitstrauma, das offensichtlich vom Tode seines Vater verursacht ist. Seltsame Geschehnisse erschrecken ihn, versetzen ihn in teuflische Ängste. In seinem Verfolgungswahn sieht sich Nathaniel mit dem Sandmann, der es vermeintlich auf seine Augen abgesehen hat, konfrontiert. Mal als Dämon, mal als kindliche Erfindung tritt er in Erscheinung. Seine Lebenspartnerin Clara versucht alles, Nathanael von seinen Wahnvorstellungen zu befreien. Er müsse die Geister, die ihn schrecken, nicht immer wieder rufen. Vergebens, Clara bleibt ungehört. Der Student verliebt sich in seiner Verworrenheit in die Puppe Olympia, im heutigen Verständnis eine Maschine. Das Ende ist tragisch: Nathaniel scheidet aus dem Leben.
Für Philipp Rosendahl ist das eine spannende Geschichte: "E.T.A. Hoffmann schreibt hundert Jahre vor Sigmund Freud und über 200 Jahre vor jetzt eine tiefenpsychologische Studie, die erstaunlicherweise alle Sorgen und Ängste unserer Zeit und unserer Welt zum Inhalt hat. Der Dichter liefert damit in der Literatur etwas ab, was Carl Maria von Weber in der Musik und Caspar David Friedrich in der Malerei geleistet haben. Hoffmann und diese Beiden sind das Dreigestirn der deutschen Romantik. Sie blicken unter die Oberflächen und in die Tiefen der menschlichen Seele. Das ist der Versuch, in einen Kosmos von Gefühlen, Assoziationen und Intuitionen, in einen Rausch und Fieberträume einzudringen."
Das Dreigestirn ist an diesem Theaterabend, weil er spartenübergreifend gestaltet ist, immer zugegen. Auf Rosendahls Initiative haben The McDaniel Brothers, ein renommiertes Komponisten-Duo aus den USA, eine Neukomposition geschrieben, die an die Handlung regelrecht andockt. "Was da zu hören ist, sind Klänge, die - zuweilen zitathaft - an Weber, Schumann und Schubert erinnern", erklärt der Regisseur. "Später erklingt filmische Horrormusik. Die Szenen um Olympia werden durch Techno und durch Musik ergänzt, die von KI komponiert sein könnte. Ein musikalisches Quartett spielt diese Komposition auf der Bühne. Die Musik versetzt uns in das Erlebnis einer Zeitreise von 1817 bis 2030."
Interessant ist, dass Hoffmann Erzählung im Hintergrund bleibt. Rosendahl inszeniert nach der Musik, als ginge es um ein Ballett. Dazu hat er in der Kanadierin Alessia Ruffolo eine Choreografin an seiner Seite, die schon seine Inszenierungen von "Equus" und "Alice" künstlerisch begleitet hat. Schauspieler und Tänzer stehen gemeinsam auf der Bühne. Die Rollen von Nathanael (Manolo Bertling und Taro Yamada) und Clara (Ariadne Pabst und Laura Oakley) sind sogar doppelt, tänzerisch und schauspielerisch, besetzt.
Was bewirkt diese Darstellung? Philipp Rosendahl: "Horror, Angst und Einsamkeit entstehen zwar im Kopf, ziehen aber den ganzen Körper in Mitleidenschaft. Was geschieht mit ihm? Was passiert bei Angst und Not? Das darzustellen ist mit Mitteln von Musik und Tanz spürbarer, assoziativer als mit Schauspiel. Dem Zuschauer teilt sich mehr mit."
Ist Nathanael ein "Verrückter"? Rosendahl erklärt, seinen Figuren immer eine gewisse Sympathie entgegenzubringen. Außerdem: Ist Verrücktheit so außergewöhnlich in einer Zeit, da Verrückte in manchen Ländern Präsident werden können? Im Übrigen vermittelt "Der Sandmann" Nachdenken über Verdrängen und Bewältigen der posttraumatischen Störungen unserer Welt.