Uwe Schieferdecker

Die jungen »Wilden« von der Brücke

Dresden. Vier junge Architekturstudenten probten vor 120 Jahren den Aufstand und gründeten am 7. Juni 1905 die Künstlergruppe »Brücke«.

Gemeinsam mit der später entstandenen Neuen Künstlervereinigung München, auch bekannt als »Blauer Reiter«, gelten die Dresdner Autodidakten als prominente Expressionisten und wichtige Wegbereiter der klassischen Moderne.

Anfangs waren sich die vier Begründer – Ernst Ludwig Kirchner, Fritz Bleyl, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff – nur darin einig, wogegen sie waren: Den alten Muff. »Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt«, heißt es in einem Programmzettel von 1906. Die Geschäftsstelle der Künstlergruppe befand sich in der Berliner Straße 65, wo Erich Heckel mit seinen Eltern wohnte. Auch Kirchner zog es 1907 von der Südvorstadt in die Friedrichstadt. Er wohnte und arbeitete auf 26 Quadratmetern in einem Laden in der Berliner Straße 80. Bald wurden die Räumlichkeiten zu eng, und die Vierergruppe nutzte eine leere Fleischerei der Berliner Straße 60.

Unklar bleibt, ob sich die Bezeichnung »Brücke« auf die gern dargestellten nahen Eisenbahnbrücken der Friedrichstadt, auf die vielen anderen Brücken Dresdens oder doch eher metaphorisch auf den Aufbruch zu neuen Ufern bezog. Einig waren sich die junge Künstler stilistisch: Eine kontrastreiche, intensive Nutzung der Farbe, die Vergröberung einschließlich des Verlusts von Details und die holzschnittartige Ausführung der Formen. Das bedeutete die Abkehr vom Menschenbild des vorherigen Jahrhunderts, öffnete die Malerei für Tabuthemen.

 

»Hottentotten im Frack«

 

1906 stießen Max Pechstein und Emil Nolde zur Gruppe hinzu. Nach ersten Ausstellungen in Leipzig und Braunschweig folgte im September 1906 die Präsentation von Werken der Künstlergruppe im Mustersaal der Lampenfabrik Karl Max Seifert in der Löbtauer Gröbelstraße 17. Das Plakat mit einem Frauenakt wurde polizeilich verboten. Der Ausstellung blieb so die Resonanz und der Erfolg versagt.

Wesentlich stärker war das Echo im Folgejahr auf die Brücke-Ausstellung im Kunstsalon Emil Richter auf der Prager Straße 13. Geschockt reagierte das monarchisch geprägte Dresdner Publikum. Von »Hottentotten im Frack« war die Rede. In der Kritik stand neben der ungewohnten Arbeitsweise auch deren unkonventionelles Leben. Gleichwohl erfreuten sich die jungen Künstler nun zunehmend auch überregionaler Aufmerksamkeit. Deutschlandweit präsentierten sie in Wanderausstellungen ihre Werke.

 

Das Ende der »Brücke«

 

Als ersten Brücke-Künstler zog es Max Pechstein 1908 für einen Auftrag nach Berlin. Ende des Jahres 1911 folgten Kirchner und Heckel in die Hauptstadt. Sie erhofften sich ein aufgeschlossenes Publikum und die Nähe zu Händlern und Sammlern. Doch erwies sich das Leben als hart. Zunehmend trübten Streitigkeiten das Verhältnis untereinander. Pechstein wurde gar 1912 als Verräter ganz aus der Gruppe ausgeschlossen. Die Auflösung der Künstlergruppe Brücke, die den Kunstbetrieb in Deutschland wesentlich bereichert hatte, folgte schließlich im Mai 1913.


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