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... und was hab‘ ich jetzt eigentlich genau?

Wie und warum eine kleine Firma dafür sorgt, dass sich Arzt und Patient richtig verstehen.
Oliver Schenk vom Bundesgesundheitsministerium und Sachsens Sozialministerin Barbara Klepsch (v.l.) erkundigen sich vor Ort bei Beatrice Brülke und Ansgar Jonietz über die Arbeit von „Washabich.de“. Foto: Pönisch

Oliver Schenk vom Bundesgesundheitsministerium und Sachsens Sozialministerin Barbara Klepsch (v.l.) erkundigen sich vor Ort bei Beatrice Brülke und Ansgar Jonietz über die Arbeit von „Washabich.de“. Foto: Pönisch

Wenn eine Medizinstudentin von der Verwandtschaft immer wieder gefragt wird, was denn der Arzt da eigentlich in den Befund geschrieben wird und daraus spontan der Übersetzungsservice „washabich.de“ entsteht, dann kann das nur eine Erfolgsgeschichte werden. Hand aufs Herz: Wenn Ihnen bescheinigt wird, dass Sie an Carotissklerose oder an einem A.-vertebralis-V. leiden, wissen Sie dann sofort, dass die Halsschlagader verkalkt oder ein Blut zum Kopf führendes Blutgefäß verschlossen ist? Und wenn im Befund von Hyperlipoproteinämie die Rede ist, dass Ihre Fettwerte im Blut erhöht sind? Der Pschyrembel, das medizinische Lexikon, umfasst rund 100.000 Begriffe, die fast alle auf lateinische oder altgriechische Sprache zurückgehen. Und wenn nach sechs oder mehr Jahren Studium der fertige Mediziner Diagnosen und Befunde stellt, dann natürlich in der von ihm jahrelang gepaukten fachmedizinischen Sprache. Nur leider versteht ihn sein Gegenüber, der Patient, nicht wirklich. Der stellt sich dann meist nur eine Frage: Was hab‘ ich? Im Falle von Anja und Johannes Bittner, 2011 noch Medizinstudenten, war es immer wieder die Verwandtschaft, die nicht verstandenes Medizinvokabular erklärt haben wollte. Und so stand schnell die Frage im Raum: Warum gibt es eigentlich keinen Übersetzungsdienst für Befunde? Innerhalb von vier Tagen entwickelten die beiden mit Diplom-Informatiker Ansgar Jonietz die Website www.washabich.de, gingen online und fanden nach genau zwölf Minuten den ersten Befund mit der Bitte um Übersetzung vor. Was wiederum sehr schnell zu der Erkenntnis führte: Zu zweit schaffen wir das nie, wir brauchen dringend Unterstützer. Heute hat die Firma, die als gemeinnützige GmbH fungiert, sechs fest angestellte Mitarbeiter, darunter drei Ärzte, sowie ein bundesweites Netz von 1.500 ehrenamtlichen Medizinstudenten, praktizierenden und Ärzten im Ruhestand, die bereits 30.952 Befunde übersetzten. Finanziert wird das einstige Start-up zu einem Drittel durch Spenden seitens der Patienten, für die der Übersetzerdienst gratis ist, sowie durch viele verschiedene Projekt- und Fördergelder zahlreicher Partner. Doch das einstige Start-up will noch viel mehr. „Wir wollen Ärzte von morgen zu besseren Kommunikatoren machen“ , sagt Ansgar Jonietz. An den Unis Dresden, Hamburg, Marburg und Heidelberg gibt es seit zwei Jahren das onlinebasierte Wahlfach „Was hab‘ ich?“, in dem Studenten lernen, medizinische Sachverhalte leicht verständlich zu erklären. Und noch etwas ist inzwischen ein Herzensanliegen der Dresdner Firma: Der Patientenbrief, die verständliche Version des Entlassungsbriefes. Den sollen alle Patienten erhalten, damit sie  genau über ihr Krankheitsbild, durchgeführte Untersuchungen und gesundheitsförderndes Verhalten nach der Entlassung Bescheid wissen. An der Paracelsus-Klinik Bad Ems gehört dieser Brief bereits zum Standard. Wer dort eine Koronarangiographie erlebte weiß, dass eine Katheder-Untersuchung des linken Herzens vorgenommen wurde. Und braucht nicht fragen... (Carola Pönisch) • Wie funktioniert‘s? * Befunde (zwei Seiten) werden online auf washab-ich.de geladen oder gefaxt * persönliche Daten werden geschwärzt, um Anonymität und Datenschutz zu wahren * innerhalb von zwei bis drei Tagen werden sie übersetzt und können passworteschützt abgerufen werden * Befunde werden nicht interpretiert und bewertet, es werden keine Empfehlungen für Behandlung, Medikamentierung, Therapie oder Krankenhauswahl erteilt * Medizinstudenten, die Befunde übersetzen, müssen mindestens im 8. Fachsemester sein; die ersten fünf Übersetzungen werden von Supervisoren en auf Richtigkeit kontrolliert * Bei besonders kniffligen Fragen können Übersetzer jederzeit das Team der Konsiliarärzte (die drei festangestellten Ärzte) kontaktieren * Seit 2011 wurden 30.952 Befunde übersetzt * 80 Prozent der Informationen eines Arztgespräches werden vergessen * nur 15 Prozent der medizinischen Begriffe werden im Arztgespräch läutert


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