Birgit Branczeisz

Udo Lindenberg bringt den „Sonderzug“ zurück nach Kötzschenbroda

Radebeul. Am 10. Mai heißt es ab 16 Uhr auf der Radebeuler Bahnhofstraße „Udo Lindenberg“.

Der Panikrocker kommt zwar nicht selbst – dafür wird eine Collage von Udo als Wandbild an der Bahnhofstraße enthüllt. Ein Höhepunkt ist die Pop-up-Ausstellung in der Galerie Walentowski, die Werke von Udo Lindenberg zeigt. In den Geschäften lädt eine Eierlikörmeile ein und neben anderen kulinarischen Genüssen,  gibt es eine Straßen-Performances und Aktionen von Künstlern und Vereinen. Ab 19 Uhr tritt „el Paniko und das Katastrophenorchester“, Deutschlands älteste und noch aktive Udo-Lindenberg-Tribute-Band auf. Um 20.45 Uhr wird das neue Wandbild feierlich erleuchtet.

Dass Radebeul auf „Udo“ kam, um die Bahnhofstraße attraktiver zu gestalten, liegt in der Historie des Ortes. Einst machte hier in Kötzschenbroda die erste Ferneisenbahn Deutschlands Station auf der Fahrt nach Leipzig und Dresden. 1872 erhielt die Bahnstation diesen Namen, der einst auch weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt war. Das Lied „Kötzschenbroda-Express“ von Bully Buhlan hatte nach dem zweiten Weltkrieg dafür gesorgt, dass der Bahnhof Kötzschenbroda in ganz Deutschland bekannt wurde. „Verzeih`n Sie mein Herr, fährt dieser Zug nach Kötzschenbroda?“ sang Bully Buhlan und spielte darauf an, dass von Mai 1945 bis April 1946 Züge aus Berlin nicht wie zuvor über die Niederwarthaer Brücke fahren konnten, da die gesprengt war, sondern über Kötzschenbroda nach Dresden geleitet wurden.

Der Song Kötzschenbroda-Express von Bully Buhlan ist eine Parodie auf das Original 'Chattanooga Choo Choo'. Im Liedtext geht es um eine Zugfahrt von Groß-Berlin nach Kötzschenbroda. Die Reise ist jedoch voller Unannehmlichkeiten, wie überfüllte Züge, in denen man nur noch liegen kann, die Notwendigkeit, auf Kisten oder im Freien zu reisen, und Verspätungen. Trotz der Liebe zur Reise und der Schönheit der Landschaft, ist der Protagonist am Ende des Liedes so frustriert, dass er beschließt, lieber zu Hause zu bleiben. Das Lied ist eine humorvolle Kritik an den damaligen Zuständen im Zugverkehr. Nun ja, jede Ähnlichkeit mit heutigen Zuständen ist rein zufällig.

Die eingängige Melodie von „Kötzschenbroda“ blieb im Ohr. Dabei hieß der Kötzschenbrodaer Bahnhof 1945/46 schon gar nicht her so. Nach dem Zusammengehen von Kötzschenbroda mit Radebeul wurde er 1941 in „Bahnhof Radebeul-West“ umbenannt. So blieb es die nächsten 72 Jahre. Erst 2013 erhielt der Bahnhof seinen alten Namen zurück.

Doch 1983 coverte Udo Lindenberg das Lied mit dem swingenden Glenn Miller Sound und schrieb den Text „Sonderzug nach Pankow“ dazu. Hintergrund war bekanntlich sein vergebliches Bemühen, im Osten aufzutreten. In seinem Text entwirft er das Szenario, dass er einen Sonderzug ins Funktionärs-Ghetto nach Berlin-Pankow besteigt, um bei einer Flasche Cognac den Staatsratsvorsitzenden Erick Honecker zu überzeugen, dass er doch in der DDR auftreten darf. Diesen duzt er konsequent, nennt ihn „Honey“, einen „sturen Schrat“ und den „Oberindianer“ der DDR. So schreibt es das Songlexikon der Uni Freiburg.

Für die Radebeuler bleibt es eine ganz persönliche Geschichte, die nur hier an diesem Bahnhof so erzählt werden kann. Als die Händler der Bahnhofsstraße nach Ideen suchten, den schnöden Tunnel irgendwie zu gestalten und so beide Teile der Straße völlig neu miteinander zu verbinden, kamen die Radebeuler wieder auf die Entstehungsgeschichte dieses Songs.

Niemand anders als Udo Lindenberg soll nun also den Tunnel mit einer eigenen Grafik zu einem völlig neuen Ort machen, einem Ort der Musik- und Zeitgeschichte. Wo die Menschen bisher am liebsten durcheilen, werden sie jetzt verweilen. Eine No-Name-Bahnunterführung wird ein eigenständiger Ort. Udo Lindenberg, der inzwischen in etlichen Städten Galerien mit eigenen Grafiken betreibt, war jedenfalls von dieser Idee sofort begeistert, erzählt Stadtsprecherin Daniela Bollmann. Und wie sieht die Installation aus? Einfach vorbeilaufen, ist nicht, dachte sich der Künstler. Bei Udo muss man schon mitmachen und so bekommen die Passanten ihre eigene Rolle. Sie lösen Töne und Beleuchtung aus – ein paar Takte der ursprünglichen Musik Glenn Millers, sind unterschwellig und je nach Verkehrssituation zu hören. Licht, Schaukästen, Werbeflächen ergänzen den 30 Meter langen Tunnel, durch den bald niemand mehr mit eingezogenem Kopf durchrennt.

 

Liedtext:

Verzeih'n Sie, mein Herr, fährt dieser Zug nach Kötzschenbroda?“
„Ja, ja, Herrschaft vielleicht, wenn's mit der Kohle noch reicht.“
„Ist hier noch Platz in diesem Zug nach Kötzschenbroda?“
„Oh, das ist nicht schwer, wer nicht mehr steh'n kann, liegt quer.“

„Für Geübte ist das Reisen heute gar kein Problem,
Auf dem Polster oder Kisten steht man bequem,
Und dich tritt kein Fußtritt, fährste auf dem Dach mit, obendrein bekommste noch 'ne frische Luft mit.
Morgens fährt der Zug noch am Havelstrande vorbei, mittags ist die Fahrt in Halensee noch nicht frei,
Nachts in Wusterhausen, lässt man sich verlausen und verliert den Kopf alleine dabei.“

„So fährt man heut' von Groß-Berlin nach Kötzschenbroda,
Und dann und wann, kommt man auch pünktlich dort an.
Nun steh'n wir da, der schöne Traum vom Reisen ist jetzt aus,
Glück auf nach Kötzschenbroda, aber ich bleib zuhaus'!

Drum grüß mir Kötzschenbroda, ich bleib' lieber zuhaus'!
Drum grüß mir Kötzschenbroda, ich bleib' lieber zuhaus'!

 


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