Birgit Branczeisz

Hochspannung in Hellerau

Dresden. Sind die Interessen so groß, dass nicht mal der Denkmalschutz in den Plan einbezogen wurde?

Mitten durch das Flächendenkmal Gartenstadt Hellerau soll die Trasse der 110-KV-Leitung für das neue Umspannwerk in Wilschdorf gehen. Damit wollen sich die Hellerauer nicht zufrieden geben. Etwa 100 Haushalte sind von der Trassenführung betroffen.

Sie möchten, dass der Versorger SachsenEnergie eine Verlegung der 110-KV-Leitung auf der geraden Trasse plant, die ohnehin derzeit mitten im Wald gezogen wird. Warum sollte das Erdkabel auch nicht gleich mit in der Wegführung der neuen Industriewasserleitung in den Boden, die das Unternehmen sowieso verlegt und wofür bereits eine breite Schneise in den Wald auf dem Heller geschlagen wird? Das schmerzt ohnehin schon genug.

Möglicherweise hat der Sachsenforst ein gehöriges Wörtchen mitgeredet – denn die Trasse müsste dauerhaft freigehalten werden. Oder es schien vermeintlich einfacher, auf öffentlichem Straßenraum durch die Erde zu gehen? Tanja Fischer vom Verein Bürgerschaft Hellerau e.V. kann es nur vermuten.

Wir laufen den Weg ab, den das Erdkabel quer durch die Gartenstadt Hellerau dafür nehmen soll. Obwohl, »quer« ist genau das falsche Wort, denn es ist eben keine kürzere Verbindung und schon gar keine einfache – der Verlauf schlängelt sich im Zickzack vom Markt hoch durch enge Gassen, biegt mehrfach plötzlich rechtwinklig ab. Das bedeutet, man muss viel mehr Kreuzungspunkte setzen, erklärt Volkmar Springer. Er ist Bauingenieur, im Verein Bürgerschaft und engagiert sich für die SPD im Ortschaftsrat Dresden-Klotzsche. »Das ist doch viel aufwendiger und störanfälliger, als eine gerade Trasse«, sagt er und schüttelt den Kopf. Er zeigt auf die vielen Deckel im Straßenverlauf. »Hier ist kaum Platz – zum Teil 100 Jahre alte Wasser- und Abwasserrohre liegen in den Straßen. Die 110-KV-Leitung müsste noch darunter verlegt werden. Und was, wenn die alten Steckleitungen dabei einbrechen? Das ist sehr wahrscheinlich!«, sagt er.

Was die Hellerauer aber vor allem beunruhigt und was ihnen erst allmählich dämmert: Die 110-KV-Leitung wird an etlichen Stellen bis zu vier Meter an ihre Wohn- und Schlafzimmer herankommen. Breiter sind die Gassen nun mal nicht.  »Das Magnetfeld solcher Leitungsquerschnitte ist aber 35 Meter um das Kabel detektierbar«, erklärt Tanja Fischer. Sie ist promovierte  Physikerin und kennt sich bestens aus. Zwar liegen in Deutschland die Grenzwerte mit 100 Mikrotesla weit höher als in der Schweiz und Belgien – dort betragen sie 1 bzw. 10 Mikrotesla – aber immerhin gibt es ein gesetzliches Minimierungsgebot in Wohngebieten. »Die Versorger sollen gar nicht erst solche künftigen Problemlagen verursachen«, so Fischer. Vor allem deshalb, weil derzeit Forschungen zu den Wirkungen solcher Magnetfelder laufen, gerade mit Blick auf Leukämie. »Was, wenn sich herausstellt, dass es durchaus schädliche Einflüsse gibt?«, fragt sie. Sie hat selbst in der Halbleiterindustrie gearbeitet und es geht ihr nicht darum, gegen die Ansiedlung mobil zu machen. »Es geht darum, es von vornherein richtig zu machen.«

Überrascht waren allerdings nicht nur die Hellerauer, sondern auch der Denkmalschutz der Stadt Dresden. Das Amt war dem Vernehmen nach keineswegs in die Entscheidung eingebunden oder darüber informiert. Dabei ist im Herzen der Gartenstadt Hellerau nahezu alles abzusegnen. Da kann nicht einmal etwas an- oder umgebaut werden – die Hellerauer leben in einem Flächendenkmal. Deshalb gibt es auch keine Solaranlagen auf dem Dach oder Wärmepumpen im Vorgarten. Und ausgerechnet so eine einschneidende, über Monate gehende Baumaßnahme, bleibt unbeachtet? Am 31. März ist Sachsen-Energie in den Stadtbezirksbeirat Klotzsche eingeladen, um ihre Sicht der Dinge darzulegen. 

 


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