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Auch mal frech sein und provozieren

Görlitz. Das Lausitz Café findet dieses Jahr auch im Norden und Süden des Kreises statt. Aus ihm ist unter anderem eine Kampagne entstanden, mit der der Kreis gerade überregional um Fachkräfte wirbt. Ein Gespräch mit Wilhelmine Buscha und Ingo Goschütz von der ENO.

Seit wann gibt es das Lausitz Café?

Wilhelmine Buscha: Wir haben es zum ersten Mal am 31. Januar 2023 durchgeführt. Die Idee ist also ein Kind aus dem Jahr 2022. Die nächste Ausgabe findet im September in Görlitz statt (am 9. September in der Unbezahlbar-Lounge, Anm. d. Red.). Wir haben festgestellt, dass die Teilnehmerzahlen im Sommer geringer sind. Deswegen haben wir in diesem Jahr eine Sommerpause eingeschoben.

 

Was ist die Intention des Lausitz Cafés, an wen richtet sich das Format?

Wilhelmine Buscha: Der Grundgedanke war es, ein Format zu schaffen, an dem wirklich jeder teilnehmen und sich einbringen kann. Es geht darum, die verschiedensten Perspektiven aus der Gesellschaft mit abzuholen, die es zu den Projekten und Ideen im Rahmen des Strukturwandels gibt. Es geht zum einen darum, bei Projekten, die bisher nur als Idee vorliegen, abzufragen, wie die Gesellschaft, wie die Menschen im Kreis dazu stehen. Wir haben aber auch oft konkrete Projekte aus der Region im Lausitz Café. Da kommen Unternehmen oder Vereine auf uns zu mit einem schon fortgeschrittenen Vorhaben, bei dem sie auf die eine oder andere Weise noch Hilfe brauchen. Für diesen Feinschliff konkreter Ideen braucht es eben die Gesellschaft und nicht die nächste Expertenrunde, die vielleicht auch manchmal die Realitäten vor Ort aus dem Blick verliert.

 

Kannst du ein konkretes Beispiel nennen?

Wilhelmine Buscha: Bei einem Lausitz Café wurde die Frage besprochen, wie man Veranstaltungen in der Kommunalpolitik so gestalten kann, dass es im allgemeinen für junge Leute und im speziellen für junge Frauen wieder interessanter wird, sich politisch zu engagieren. Das Lausitz Café dazu fand im August 2023 statt und einen Monat später gab es bereits die erste Veranstaltung, die anhand der Ergebnisse der Diskussion aus dem Café gestaltet wurde.

 

Das Lausitz Café ist inzwischen in Süd, Mitte und Nord aufgeteilt, um den ganzen Kreis abzudecken. Hat der Gang in den Norden und Süden bisher funktioniert?

Wilhelmine Buscha: Wir haben Anfang 2023 in Görlitz begonnen. Wir wollten das zunächst einfach mal ausprobieren und Erfahrung sammeln. Das funktioniert für uns in Görlitz mit Blick auf die Organisation am risikoärmsten. Die Beteiligung war gut, die Ergebnisse super. Es gab aber auch das Feedback, dass es wichtig sei, in den ganzen Landkreis zu gehen. In Schleife gab es Anfang des Jahres bereits ein Lausitz Café, die Ausgabe im April im Süden des Kreises mussten wir leider absagen, weil es zu wenige Anmeldungen gab. Am 10. Oktober ist dann wieder eine Ausgabe im Norden des Kreises geplant, am 12. Dezember dann im Süden. Voraussichtlich geht’s nach Rietschen und Oybin.

 

Wie arbeitet ihr mit den Ideen und Ergebnissen aus den Lausitz Cafés weiter? Was macht ihr, damit am Ende nicht nur beschriebenes Papier in Schubladen verschwindet?

Wilhelmine Buscha: Das weitere Vorgehen hängt natürlich immer davon ab, worum es konkret geht. Wir treten mit den Inhalten aus den Cafés natürlich an verschiedene Akteure heran, das können Politikerinnen und Politiker genauso sein wie beispielsweise Unternehmen. Wenn jemand Externes ein Projekt mitgebracht hat, muss er es natürlich selbst weiter fortführen, wir unterstützen ihn dann aber dabei.

Zum Beispiel brachte jemand das Thema Barrierefreiheit ein, konkret die Frage, kommt man hier in der Region noch selbstständig zurecht, wenn man plötzlich an einen Rollstuhl gebunden ist? Daraus ist die Idee eines Abosystems für behindertengerechte Taxis und für die Fahrzeuge, die in Pflegediensten fahren, entstanden. Letztere werden aktuell meist nur für Kunden genutzt, könnten aber vielleicht auch für die Allgemeinheit zur Verfügung stehen. Dort sind wir dann zum Beispiel aufs DRK zugegangen und haben Gespräche aufgenommen, um zu schauen, ob sich dahingehend etwas umsetzen lässt.

 

Eine der Aufgaben der ENO ist auch die Unterstützung bei Förderanträgen. Begleitet ihr Ideen aus dem Lausitz Café auch dahingehen?

Wilhelmine Buscha: Ja. Ein konkretes Beispiel ist das Sorbische Kulturzentrum, das bei der Lausitz-Café-Ausgabe in Schleife dabei war. Da wurde besprochen, wie die Ausstellungen familienfreundlicher und moderner gestaltet werden können. Daraus wurden Konzepte entwickelt und inzwischen Anträge bei simul+ gestellt.

 

Kostet diese Hilfe den Verein oder das Unternehmen Geld?

Wilhelmine Buscha: Nein. Im Rahmen der Taskforce Strukturwandel können wir kostenfrei bei Ideenfindung und Fördermittelbeantragung helfen. Wenn es konkreter wird, beispielsweise im Rahmen der Umsetzung eines Projekts eine neue Website neu gestaltet werden muss, dann geht das gegen ein Entgelt.

 

Ihr organisiert im Juni auch eine Mitmachkonferenz. Worum geht es da?

Wilhelmine Buscha: Wir wollen die Akteure, die Beteiligungsprozesse in der Region gestalten, zusammenbringen und schauen, wie man diese Prozesse besser und effektiver umsetzen kann.

 

Ein anderes von euch auf die Beine gestelltes Format ist die Innovation Challenge Lausitz. Die funktioniert in Zukunft etwas anders. Was genau habt ihr hier vor?

Wilhelmine Buscha: Wir lassen die Innovation Challenge nicht mehr an festen Terminen stattfinden. Stattdessen gilt generell die Aufforderung, sich gezielt mit Herausforderungen an uns zu wenden. Wenn uns jemand eine Challenge genannt hat, suchen wir fünf bis sechs Menschen, die an einer Lösung arbeiten.

 

Aktuell läuft auch die Kampagne „Du fehlst hier“, die mit ungewöhnlichen Motiven auffällt und auch provoziert. Warum dieser neue Ansatz?

Ingo Goschütz: In einem der Lausitz Cafés war Regionalmarketing ein Thema. Es wurde also die Frage diskutiert, wie wir uns als Landkreis noch besser vermarkten können, wie wir nach außen treten. Für uns ist das natürlich ein spannendes Thema, das uns als ENO auch selbst betrifft. Es kam bei der Frage die Anmerkung, dass man provozieren und frech sein sollte, um im Wettkampf der Regionen stärker aufzufallen. Eine Anregung war, dass wir neben den schönen Bildern und Geschichten, die wir immer in den Vordergrund stellen, auch mal was komplett anderes machen könnten.

 

Wie ist daraus die Kampagne entstanden?

Ingo Goschütz: Einer der Aufhänger waren die bekannten Aufkleber „Nett hier – aber waren Sie schon mal in Baden-Württemberg?“. Die haben online einige Bekanntheit erlangt. In der Diskussion gab es dann viele Ideen. Beispielsweise wurde vorgeschlagen, ein Schlagloch zu zeigen mit dem Slogan „Wir warten auf dich, Straßenbauer“ oder ein voll besetztes Klassenzimmer ohne Lehrer mit dem Slogan „Wir brauchen dich, Lehrer“. Es geht also darum, sich auch mal zu den Defiziten zu bekennen und das mit dem Hinweis zu verbinden, dass man sich hier einbringen und eine Lücke füllen kann.

 

Die Kampagne setzt auch auf eine ungewöhnliche Optik, die Motive werden als eine Art Scherenschnitt dargestellt. Warum?

Ingo Goschütz: Die Idee entstand tatsächlich bei uns in der Servicestelle. Wir wollten einfach etwas anderes machen. Wir haben zuerst über Fotomotive nachgedacht. Aber wir müssen die gezeigten Szenen ja sehr verdichten. Das als Fotomotiv umzusetzen, schien uns nicht ideal. Es sieht dann eben sehr gestellt aus.

 

Wie spielt ihr die Kampagne aus?

Ingo Goschütz: Es gibt eine Internetseite dazu (https://unbezahlbar.land/neuer-job, Anm. d. Red.), die ist seit November online. Dazu gab es dann eine erste Kampagne über den Jahreswechsel auf TAG24, um auf die Seite hinzuweisen. Aktuell werden die Motive crossmedial gespielt, sind beispielsweise in TV-Streams als Banner zu sehen oder als Werbung vor Videos. Außerdem arbeiten wir mit Google Ads. Die Motive werden direkt auf Google, aber auch auf von Google versorgten Websites gezeigt. Man sieht sie also beispielsweise auch auf Shopping-Seiten.

 

Zeigt die Kampagne Wirkung, gibt es Feedback?

Ingo Goschütz: Die Reichweite gerade bei Google Ads ist natürlich enorm. Man muss aber auch ehrlich sagen, dass es schon ein bisschen Streuen nach dem Gießkannen-Prinzip ist. Man kann das auch gezielter machen und beispielsweise nur Wechselwillige ansprechen oder nur in Ballungsräumen ausspielen. Wir versuchen, einen guten Mix aus Werbeformen zu finden.

Wir verkaufen kein Produkt, der Erfolg der Kampagne lässt sich also nicht so leicht messen. Wenn ich einen Schuh verkaufe und eine Kampagne starte, kann ich sehen, wie stark die Verkaufszahlen steigen. Wir verkaufen eine Region und ein Lebensgefühl. Das macht es etwas schwieriger. Und andere Landkreise sind auch nicht doof. Wir stehen in einem Wettbewerb. Was am Ende bei den Unternehmen ankommt, ob sich also mehr Fachkräfte für die Region entscheiden und sich hier bewerben, das erfahren wir nicht direkt.

Es gibt aber natürlich im Bezug auf die Kampagne ein umfangreiches Reporting der Dienstleister. Wir haben zum Beispiel vergangenes Jahr vier Wochen lang Videomarktring gemacht, da hatten wir 120.000 Impressions. Das heißt, 120.000 Mal wurde die Werbung gesehen. Rund 1000 Leute haben dann auch auf die Website geklickt. Solche Kennzahlen gibt es.

 

Das Projekt „Unbezahlbarland“ endet im Juni. Wie geht’s weiter?

Ingo Goschütz: Richtig, das Projekt läuft aus. Das heißt natürlich nicht, dass die Unbezahlbarland-Kampagne und Unbezahlbarland als Marke verschwinden. Wir setzen es fort, das Folgeprojekt hat aber einen etwas anderen Ansatz. Es heißt dann „Ankommen im Landkreis Görlitz“. Bisher ging es darum, Menschen anzusprechen und von der Region zu überzeugen. Zukünftig liegt der Fokus darauf, was passiert, wenn Menschen tatsächlich hier ankommen. Die Website wird beispielsweise umfassend erweitert, enthält dann Leitfäden und Ansprechpartner für Menschen, die in den Landkreis ziehen. Das ganze natürlich mehrsprachig.


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