Tony Keil

Wie viele Risse sind zu viele Risse?

Löbau. In den vergangenen Wochen kam es im Raum Löbau immer wieder zu Wolfsrissen. Die Frage nach einer möglichen Entnahme beantwortet die Naturschutzbehörde zurückhaltend.

Auf einer Koppel in Lautitz grasen die Schafe. Auch einige Ziegen sind in dem Gehege, dass von einem 90 Zentimeter hohen, unter Spannung stehenden Netz umzäunt ist und von Kunststoffstäben verstärkt wird, die ein Durchhängen verhindern. Was auffällt, sind zusätzliche höhere Stäbe, die ein über dem Netz angebrachtes Flatterband halten. »Das haben wir nach dem Wolfsriss im August angebracht«, erzählt Daniel Böhme. Er habe damals den Rissgutachter gefragt, was er noch tun könne, um seine Tiere zu schützen, habe daraufhin diesen Tipp erhalten, bekam Stäbe und Band sogar als Leihgabe gestellt. Gebracht hat die zusätzliche Schutzmaßnahme nicht viel.

 

Vier Fälle innerhalb einer Woche

 

In der Nacht vom 1. zum 2. Oktober schlugen die Wölfe wieder in der Schafskoppel zu, rissen zehn Tiere und verletzten vier weitere so schwer, dass sie eingeschläfert werden mussten. Wir hatten bereits berichtet, dass es allein in der dritten Oktoberwoche vier Wolfsrisse im Raum Löbau gegeben hatte. Danach sprachen wir mit weiteren betroffenen Tierhaltern, die uns von noch mehr Fällen berichteten.

 

Bei Martin Salomon aus Lautitz wurden im Juli drei Tiere angegriffen (eins überlebte), am 21. Oktober dann nochmal ein Tier gerissen. Er vermutet, dass der letzte Angriff am Vormittag stattfand. »Ich war selbst am Morgen nicht bei den Schafen«, erzählt er. Bekannte würden aber jeden Morgen an der Koppel vorbeifahren und hätten da noch kein totes Schaf gesehen. Dem Fundort nach zu urteilen, hätten sie es aber wohl bemerken müssen. »Das Schaf war auch nicht angefressen, der Wolf könnte also gestört worden sein«, so Salomon.

 

Ob Isegrim tatsächlich am Vormittag zugeschlagen hat, lässt sich im konkreten Fall nicht belegen. Die Fälle zeigen aber, dass sich die Tiere von Wohnbebauung nicht mehr abschrecken lassen. Denn die Koppel von Martin Salomon liegt nur rund 30 Meter vom Haus entfernt. Er will jetzt nochmal in Zäune investieren. Wenn das nichts hilft, lässt er die Schafhaltung sein. »Für uns ist es nur ein besseres Hobby«, sagt er. Bei Schäfern sieht das anders aus.

 

Einer dieser Schäfer ist Robert Anke aus Weißenberg. Er hatte am 24. Oktober acht tote und elf vermisste Tiere zu beklagen. Dazu wurden 16 Schafe verletzt. Er bestätigt uns in Gesprächen ebenso wie die anderen Betroffenen, dass die Förderung für Zäune und Weidegeräte im Freistaat ebenso wie die Entschädigung bei Wolfsrissen funktioniert. »Aber es gibt da keine richtige Entschädigung, denn es geht nicht nur ums Geld«, sagt er. Schon allein, weil gerissene Muttertiere noch mehrmals Lämmer geboren hätten.

 

Die Wolfsangriffe sorgen in den Herden auch für unheimlichen Stress, was weitere Probleme nach sich zieht. »Mir graut es schon vor der Ablammzeit«, sagt Daniel Böhme. Bei der gab es im Dezember 2021 und Januar 2022 bei seinen Tieren viele Fehlgeburten und Lämmer, die unterentwickelt auf die Welt kamen. »Das liegt vermutlich am Stress, denn wir hatten im September 2021 bereits einen Wolfsriss in der Herde«, so Böhme.

 

Auch im Damwildgehege in Krappe haben Wölfe in den vergangenen Wochen mehrmals zugeschlagen. Drei tote Tiere fand Ralf Nahrstedt am 21. Oktober. Zuletzt schlugen die Wölfe am 21. November zu, rissen wieder drei Tiere. Es war in dem Gehege der fünfte Riss innerhalb eines Monats. Insgesamt töteten die Wölfe in dem Gehege 19 Tiere.

 

Ist eine Entnahme möglich?

 

»Die Frage ist doch, ob die Wolfspopulation stabil ist, also Wölfe entnommen werden können, oder ob es noch eine bedrohte Art ist«, sagt Landwirt Reinhard Mosig aus Ottenhain. Er verzeichnete dieses Jahr bereits drei Mal Wolfsrisse, zählte insgesamt 15 tote Tiere, beim letzten Fall im Oktober waren es sieben. Alle Tierhalter, mit denen wir gesprochen haben, erzählen uns, dass es immer wieder die Aussage gab, dass Wölfe entnommen, also geschossen werden, wenn sich die Wolfsrisse in einem Gebiet häufen. Im Raum Löbau ist das der Fall.

 

Auf unsere Nachfrage verweist das Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie auf die Sächsische Wolfsmanagementverordnung. In der ist in den Paragraphen 6 bis 9 geregelt, wann ein Einschreiten als Ausnahme laut Bundesnaturschutzgesetzes erfolgen kann. Laut Paragraph 6 ist eine Entnahme unter anderem möglich, wenn damit »erhebliche wirtschaftliche Schäden« vermieden werden können. Voraussetzungen sind, dass sich im betroffenen Gebiet »erhebliche betriebswirtschaftliche Werte einer landwirtschaftlichen Schaf- oder Ziegenhaltung befinden«, die Tierhalter die vorgeschriebenen »zumutbaren Schutzmaßnahmen« eingehalten haben und ein Wolf diese »innerhalb von zwei Wochen zweimal überwunden und Schafe oder Ziegen gerissen oder verletzt hat«.

 

Heißt: Haben die Halter die Vorgaben für die Zäune eingehalten und ein Wolf ist trotzdem innerhalb kurzer Zeit mehrmals in Gehege im betroffenen Gebiet eingedrungen und hat Tiere verletzt oder getötet, ist eine Entnahme des Wolfes möglich. In welchen Gebieten erhebliche betriebswirtschaftliche Werte liegen, bestimmt das Landesamt. Es dokumentiert auch die Wolfsriss-Fälle. Für mögliche Vergrämungs- oder Entnahme-Maßnahmen sind in Sachsen aber ausschließlich die Unteren Naturschutzbehörden der Landkreise oder Kreisfreien Städte zuständig.

 

Maßnahmen werden geprüft

 

Die Kreisverwaltung teilt auf unsere Anfrage mit, dass derzeit aufgrund der gehäuften Anzahl an Rissen ordnungsgemäß geschützter Tiere im Raum Löbau Managementmaßnahmen geprüft würden. Bei Rissen werden zunächst Vergrämungsmaßnahmen eingesetzt. Das sind beispielsweise das Elektrifizieren von Festzäunen und der Einsatz von Herdenschutzhunden. Auch ein Beschuss mit Gummigeschossen ist möglich, derzeit aber im Raum Löbau nicht geplant, weil er »im Rahmen des Herdenschutzes nicht zielführend« sei. Der Beschuss käme dann zum Einsatz, wenn sich die Wölfe Menschen nähern würden. Ob auch über eine Entnahme nachgedacht wird, dazu äußert sich die Kreisverwaltung nicht.

 

Beantragen können die Tierhalter eine Entnahme nicht. Die Entscheidung dazu trifft die Untere Naturschutzbehörde auf Grundlage der Dokumentationen der Fachstelle Wolf. »Tierhalter haben insofern einen Einfluss auf Entnahmeentscheidungen, dass Nutztiere ordnungsgemäß zu schützen sind. Nur Risse, bei denen der Mindestschutz erfüllt war, können zur Entscheidung einer Entnahme hinzugezogen werden«, heißt es aus der Kreisverwaltung.

 

Bisher eine Entnahme im Kreis

 

»Niemand fordert, dass der Wolf aus der Region komplett vertrieben, also hier ausgerottet werden soll«, sagt Daniel Böhme. Aus seiner Sicht und ebenso aus der der anderen betroffenen Tierhalter stimme das Verhältnis der Zahl der Wölfe zu der Zahl der Nutztiere aber nicht mehr.

 

Die Hürden für eine Entnahme scheinen allerdings sehr hoch. Bisher gab es im Kreis Görlitz erst eine. Sie erfolgte im Februar 2018 bei Krauschwitz aufgrund auffälligen Verhaltens des Wolfes. Eine Entnahme aufgrund vermehrten Rissgeschehens gab es dagegen bisher im Landkreis Görlitz noch nicht.


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