Birgit Branczeisz

Wie der Opa so der Enkel

Landkreis Meißen. Am 30. November ist zick für Ingo Nestler. Der Kreisbrandmeister des Landkreises Meißen sagt ade - nach 47 Jahren als Feuerwehrmann und 13 Jahren als oberster Brandmeister.
Ein Herz und eine Seele - Opa Ingo Nestler und Enkel Elias (5), der jetzt bei der Feuerwehr Zehren dabei ist.

Ein Herz und eine Seele - Opa Ingo Nestler und Enkel Elias (5), der jetzt bei der Feuerwehr Zehren dabei ist.

Bild: Privat

Am Morgen wird er seinen Laufzettel abgeben, Schlüssel, Chip, Dienstausweis. Seinen Pager wird er Mittwochfrüh abschalten. "Nicht mehr erreichbar" - was das für ein Gefühl sein wird? Seit 7 Jahren hat Nestler in Echtzeit jeden Einsatz im Landkreis im Handy gesehen. Ruhige "letzte Tage" sind es nicht geworden. Da war dieser schreckliche Unfall, der einen Feuerwehrmann schwer verletzte. Am Tag danach krachte ein Lkw mit Anhänger auf einen Stickstoff-Transporter, ein Toter. Da waren sie wieder, "die Bilder, die man nie vergisst", nach denen er immer gefragt wird.

"Ja, die gibt es", sagt Nestler. Manche bleiben ein Leben lang, andere verblassen. Es muss nicht die Katastrophe sein, wie die Flut 2013, die unauslöschliche Bilder hinterlässt. Manchmal ist es auch eine Familie, die vor ihrem abgebrannten Haus steht - die Blicke, die erste Hilflosigkeit, die Umarmung der Nachbarn. Auch das ist Feuerwehrmann-Sein. 1982 hat Ingo Nestler in Dresden angefangen, mit der Laufbahnausbildung. Die ersten Schritte als Retter hat er bei Andreas Rümpel gelernt, der bis vor 2 Jahren Leiter der Berufsfeuerwehr Dresden war. Für Nestler ein Vorbild. Es folgte 1984 der Dienstanfängerlehrgang in Nardt. "Dann lernt man mit den Einsätzen, so schlimm das ist", sagt Nestler.

1985 hat er studiert, seinen Ingenieur für Brandschutz gemacht. Seine Abschlussarbeit "Brandschutz im ländlichen Landkreis" war wie zugeschnitten für sein Berufsleben im künftigen Neu-Kreis Meißen. Am 1. August 1994 gingen Riesa und Großenhain zusammen, am 1. August 2008 dann Meißen und Riesa-Großenhain - da waren noch nicht einmal die Misstöne zwischen Riesa und Großenhain verklungen. Bei vielen blieb "die Grenze" lange im Kopf, das machte um die Ortswehren keinen Bogen.

Noch am 1. Januar 2011, als Nestler Kreisbrandmeister wurde, sagte Landrat Arndt Steinbach: "Klären Sie mir die Probleme in den Feuerwehren". Das hat er mit Ehrlichkeit gemacht. Ob Ausbildungstage, Absprachen, der umstrittene Schlauchverbund Glaubitz - d.h. die Wehren schaffen einen Schlauch weg und bekommen irgendeinen zurück - vieles führte in den Anfangsjahren zu Unmut. Am Ende ist man zum Eigentumsprinzip zurückgekehrt, also jeder bekam tatsächlich seine Sachen von der Revision zurück. Der Chef-Ausbilder konnte Termine mit seiner Familie abstimmen, die unterschiedliche Förderung der Wehren wurde Schritt für Schritt aufgehoben, es wurden Prioritätenlisten zur Förderung erarbeitet.

Was so vernünftig klingt, hat zuhören auf Augenhöhe erfordert. "Ich habe mich als Brückenbauer verstanden", sagt Ingo Nestler über seine 138 Ortswehren. "Mir sind die kleinen Feuerwehren auf dem Land genauso wichtig wie die großen in den Städten. Ich konnte mich immer auf die Ortswehren verlassen, da lass ich nichts drankommen." Sein Fazit: "Wenn ich einen Schlussstrich ziehe, wir sind richtig gut als kommunale Feuerwehrfamilie zusammengewachsen".

Zahlen belegen das. 13 Jahre, 13 Bücher - Nestler hat Tagebuch geführt. Wenn er heute darin blättert, stehen da 109 neue Fahrzeuge, davon 13 im Bau. 62 gingen in den Norden - Alt-Riesa-Großenhain. 26 Gerätehäuser wurden gebaut, 2 entstehen noch -wieder 15 davon im Norden. Spektakulär war vieles in dieser Zeit. Aufreibend sind die vielen schweren Unfälle am Autobahndreieck Nossen, die A4 und A14 - alles anstrengender Alltag für die Kameraden in Nossen mit den Ortswehren, Klipphausen und Wilsdruff und das im Ehrenamt. Brauchen wir mehr Berufsfeuerwehren?

Ingo Nestler lacht: "Ich denke, wir müssen mehr Personal einstellen, hauptamtliche Kräfte in den großen Städten, die von früh bis Nachmittag im Gerätehaus da sind und als Erste ausrücken können!" Das hören manche Bürgermeister sicher nicht gern. Nestler schätzt zwar, das Personal wird sich bei 3.200 aktiven Mitgliedern einpendeln. Indiz sind die steigenden Zahlen in den Kinder- und Jugendfeuerwehren auf zuletzt 1093. Manche Ortswehr hat schon "Einstellungsstopp" bei der Kinderfeuerwehr. Zuwenig Spinte, keine Räume - heißt es da.

Nestler strahlt. Sein Enkel Elias (5) ist jetzt in der Kinderfeuerwehr Zehren. "Als Opa würde ich mich schon freuen, wenn eines meiner 5 Enkel bei der Feuerwehr bliebe", sagt er liebevoll. Aber mehr Leute allein reichen nicht. Ab 2024 soll in Sachsen ein neues Brandschutzgesetz verabschiedet werden. Das fordert mehr Konzepte, Einsatzplanungen, komplexere Koordination, das braucht mehr Fachpersonal im Landratsamt. Und es gibt erneut eine weitere Aufgabe: der Landkreis bekommt einen Katastrophenschutz-Waldbrandzug. 5 Tanklöschfahrzeuge mit je 3 Einsatzkräften, die im März kommen sollen. Dazu gehören ein Führungsfahrzeug, ein Großtanklöschfahrzeug sowie 2 große Gerätewagen "Logistik".

Alles mit Freiwilligen. Internationale Großeinsätze. Außerdem wird auch der Landkreis Meißen eine Flughelfer-Gruppe aufbauen, die Löschhubschrauber am Boden dirigieren kann. "Dafür brauche ich englisch sprechendes Personal, das muss alles safe sein", überlegt Nestler. "Wenn ich noch jung wäre, würde ich mich sofort melden", um gleich ernst zu werden: ""Stellt sich die Frage: Was soll eine freiwillige Feuerwehr noch alles tun?" Fragen über Fragen, die nun anderen Kopfzerbrechen machen. "Jetzt müssen mal die Jungen ran - wir haben gute Leute", ist Nestler sicher. "Ich muss erst mal zur inneren Ruhe kommen" 13 Jahre unter Dauerstrom, da ist die Familie zu kurz gekommen.

Ob er auf diesen neuen Lebensabschnitt vorbereitet ist? Nestler grinst: "Ich hab auf meinem I-Phone eine To-Do-Liste." Orte, die er gern mit seiner Frau sehen will, was er machen will - oder muss. Ein Konzert ohne Anruf, Radtouren ohne Hatz - und einmal das Kennedy-Space-Center sehen. Ja, Flugzeuge haben es ihm auch angetan. Seine Frau schüttelt schon den Kopf, wenn die meisten Urlaubsbilder vom Flieger sind.

Ein Leben ganz ohne Feuerwehr wird wohl auch nie werden. Seiner Heimatwehr Garsebach bleibt er in der Alters- und Ehrenabteilung treu. Man wird von ihm hören. Ganz sicher.


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