Birgit Branczeisz

Weixdorf wird City

Dresden. Während für Strom oder Wasser Konzepte für den Dresdner Norden stehen, sieht es mit der Verkehrsplanung schwierig aus.



»Weixdorf ist der nördlichste Stadtteil Dresdens – grün, ruhig, mit Waldbad in der Dresdner Heide«, heißt es bei einem Immobilienmakler. Eine Beschreibung, die so nicht stehenbleiben wird. Denn Weixdorf wird, wie der Nachbar Ottendorf-Okrilla und manch anderer ruhige Ort, zum neuen Hotspot im Dresdner Norden. 

Die nicht mal 6.000 Weixdorfer fanden sich sozusagen über Nacht in Europas größtem Mikroelektronik-Cluster wieder, als ESMC ankündigte, in Dresden zu bauen. Infineon und Bosch erweitern, Jenoptik startet mit der Produktion Ende des Jahres – und das sind nur einige. Die Mikroelektronik und Software hat derzeit 27.000 Beschäftigte, bis 2030 sollen es laut Stadt 10.000 Menschen mehr sein – 3.000 in bestehenden Firmen, 2.000 in neu angesiedelten Firmen und weitere 5.000 bei Zulieferern. Mit ihren Familien werden so mindestens 20.000 neue Einwohner im Großraum Dresden erwartet. Und Großraum meint 70 Kommunen in vier Landkreisen. Da entsteht eine neue Metropol-Region Dresden – das Wort »interkommunale Zusammenarbeit« greift viel zu kurz. Weixdorf liegt mittendrin.

Über 200 Weixdorfer und Marsdorfer kamen jetzt zur Einwohnerversammlung in die Mehrzweckhalle der Oberschule, um von Wirtschaftsförderer Steffen Rietzschel und Thomas Herm, Amt für Stadtplanung  & Mobilität, zu hören, wie sich Weixdorf auf dieses Szenario vorbereitet, was das Dresdner Rathaus plant. Denn ein Schub dieser Größe hat Konsequenzen: Für die nächsten sechs bis acht Jahre veranschlagt die Stadt 40 bis 60 Hektar Flächenbedarf. Der Flächenverkauf soll bei drei Hektar  pro Jahr liegen. Wo auch immer, die Herausforderungen werden gigantisch: Der industrielle Wasserbedarf wird sich laut Stadt in den nächsten zehn Jahren verdoppeln, auf die Halbleiter-Industrie entfällt davon etwa ein Drittel. Ein Flusswasserwerk für 316 Millionen Euro wird deshalb gebaut, der neue Indus-triesammler Nord wird 70 Millionen kosten. Der Lastzuwachs für Strom soll sich um Faktor 4,7 erhöhen. Die größten Posten sind auch hier die Chip-Industrie, dazu die Teilelektrifizierung der Fernwärme sowie Wärmepumpen und – interessanterweise nahezu geringfügig – die Elektromobilität, andere Industrien und  die Elektromobilität Autobahn und Depot. Dafür wird auf einer Fläche von 20 Hekar nördlich der
Wilschdorfer Straße ein Umspannwerk für 500 Millionen Euro gebaut und eine 92 Kilometer lange
Höchstspannungsleitung neben der 110-KV-Leitung ins Radeberger Land.

Zahlen, die Segen und Fluch verheißen, gerade für eine Stadt wie Dresden, deren OB Dirk Hilbert gerade für Kredite über 220 Millionen Euro plädiert hat, um wenigstens wichtige investive Projekte voranzubringen. Dresden braucht Steuereinnahmen! Die Kultur strauchelt, die Sozialbranche protestiert, die Verkehrsbetriebe müssen austakten, ganz zu schweigen vom Bau einer neuen Carolabrücke. Selbst der Abriss ist nicht einmal finanziert. 

Mitten in diesen täglich überbordenden Nachrichten fragen sich die Weixdorfer natürlich besorgt: Und was wird mit uns? Sie haben in der Einwohnerrunde nachgefragt und schnell gemerkt, Konkretes gibt es wenig. Die Linie 8 wird verlängert, aber bis Wilschdorf. Die neue S-Bahn ist vorerst zu teuer. Von einer Ortsumgehung für Weixdorf ist seit langem keine Rede mehr und sie würde auch nur mehr Flächen versiegeln und Verkehr anderswo verursachen. Stattdessen konzentrieren sich die Planer auf kleinere Maßnahmen an der Königsbrücker Landstraße, wie Querungshilfen. Selbst der Lärmschutz an der Autobahn kommt erst auf die Tagesordnung, wenn der Autobahnausbau angefasst wird. Wann der kommt »kann nicht serös eingeschätzt werden«, so Thomas Herm. »Es wird aber langsam Zeit, darüber zu reden«, kontert eine Weixdorferin und ein Einwohner stellt fest: »So werden wir doch von der Realität überholt.« Die Bürger wollten nicht hören, wie die Verwaltung Gutachten erstellt oder Daten sammelt  und auswertet – sie wollten wissen, wie das künftig gehen soll mit einer einzigen Straßenverbindung nach Dresden. Erst recht, wenn die Königsbrücker Straße, die Brücke oder die Autobahn mal gebaut werden.

Immerhin ist in der Dresdner Stadtplanung nach einem Jahr eine Personalstelle wieder nachbesetzt, die sich damit befasst. Doch Maßnahmen beschließen heißt, Geld dafür bereitstellen – und der Stadtrat hat ganz andere Brocken auf dem Tisch. Der Ortschaftsrat kann nur  Maßnahmen empfehlen.

 

LAUT GEDACHT

Die Einwohnerrunde in Weixdorf hat nicht einfach stattgefunden – die Bürger mussten sie per Unterschriften ein halbes Jahr  lang erzwingen – und dann findet die Versammlung zeitgleich zum Stadtrat statt.  Die beiden Stadt-Vertreter konnten die beiden wichtigsten Punkte – die Auswirkungen auf die Weixdorfer Infrastruktur und neuen Verkehrslösungen – nicht beantworten. Was würden Sie da vermuten? Dresden fährt hier auf Sicht. Die großen strategischen Investitionen werden irgendwie kommen – aber ob der Ort Weixdorf darin vorkommt, bleibt abzuwarten.


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