Birgit Branczeisz

Sven liest seine "Krüppelmemoiren"

Dresden. Nicht dazu zu gehören - so ist das Leben von Sven Scheunig.

Sven Scheunig kämpft – um das Leben, das ihm geblieben ist und darum, von anderen wahr- sowie ernstgenommen zu werden. Seit einem Unfall ist er schwerstbehindert. Sein Buch heißt folgenschwer »Krüppelmemoiren«.

Sven Scheunig kämpft – um das Leben, das ihm geblieben ist und darum, von anderen wahr- sowie ernstgenommen zu werden. Seit einem Unfall ist er schwerstbehindert. Sein Buch heißt folgenschwer »Krüppelmemoiren«.

Bild: Privat

 "Nun dreht er den Kopf... Sieht einen schleudernden Mercedes auf sich zurasen. Er spürt, wie sein Körper von etwas Hartem erfasst wird. Nur ein Gedanke schießt noch in seinen Kopf: Das war's!" - 

Sven Scheunig ist 21 Jahre alt, als er auf der Autobahn überrollt wird - während er selbst Verunglückten hilft. Er ist stark, wild, widerborstig - ein Rocker und ein Blickfang auf der Bühne des Lebens. Ein Typ, dem die Frauen gern nachblicken. Doch dieser Moment, auf dem Weg zu einem Konzert, verändert alles. Er, der coole Typ und Sportler, ist schwerstbehindert. Wird es immer sein.

Heute ist er 55 Jahre alt. Im letzten Dezember hatte er mit seinem Liegerad noch einen Unfall. Nein, das wird kein Krankenreport, keine Schicksalsmelodie in tragischen Tönen. Denn da bleiben auch Stärke, Wildheit, Widerborstigkeit in diesem Krüppel. So nennt er sich selbst, "weil es so ist". Wie viel Selbstironie, wie viel Verbitterung darin steckt, wird nicht ganz klar. Sein Buch heißt auch so: "Krüppelmemoiren".

Es nimmt den Leser mit durch die Zeit nach jenem tragischen 3. August 1990. Sven Scheunig hat noch mal Geschichte und Germanistik studiert an der TU Dresden, musste aber abbrechen. Er hat gegen alles in sich angeschrieben und sein Leben ist ihm trotzdem aus den Händen gerutscht.

Der coole Typ stand bald alleine da. Die Freundin verlässt ihn, alte Freunde melden sich nicht mehr, selbst die Bindung zur Mutter hält nicht. Sven hat unzählige Therapien und Therapieversuche hinter sich - helfen kann ihm nur Sport, sagt er. Er will halbwegs beweglich bleiben. "Ich gehe dreimal die Woche ins Fitti", schmunzelt er. "Wer sich aufgibt, hat schon verloren" - einer seiner harmlosen Sprüche.

Andere sind krasser, lassen dem Gegenüber keinen Raum für Mitleid, sondern stoßen ihn unvermittelt in die Abgründe menschlichen Miteinanders. Das Wort "Krüppel" hört er heute noch ab und an. Die lange Krankheit hat ihn gezeichnet - ein Lächeln huscht über sein Gesicht und da ist er wieder, der coole Typ von einst. Verkriechen will er sich jedenfalls nicht, als "Rampensau" sieht er sich, der sicher Künstler geworden wäre, wenn alles "normal" gelaufen wäre.

Er denkt gern an einen Pantomime-Kurs bei Ralf Herzog. Ein bisschen hilft ihm das bei seinen Buchlesungen. Denn diese Lesungen sind schon deshalb anders, weil Sven eigentlich nichts liest. Er hat jeden Satz im Kopf, erzählt, gestikuliert sein Geschriebenes. Spitzbübisch wartet er auf die Reaktion seines Gegenübers. "The Show must go on", würde Freddie Mercury sagen.

 Lesung und Kennenlernen am 2. April, 20 Uhr, im Löbtop e.V. (Gohliser Straße 1)


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