

Das Alte Rathaus am Altmarkt genügte den Anforderungen der schnell wachsenden Großstadt schon lange nicht mehr. Bereits zum Amtsantritt 1880 hatte sich der Oberbürgermeister Paul Alfred Stübel einen Neubau auf die Fahnen geschrieben. Gut‘ Ding will Weile haben; erst 1901 startete die Stadt einen Architektenwettbewerb. Die ausgelobten Preisgelder waren stattlich. Doch die Entwürfe namhafter Büros für ein Neues Rathaus wurden heftig diskutiert und letztlich verworfen. Um die Jahrhundertwende befand sich die Architektur im Umbruch zwischen Gründerzeit, Jugendstil und Reformstil. Kritikern zufolge wirkten die eingereichten Entwürfe rückwärtsgewandt.
In einer zweiten Wettbewerbsrunde waren die Preisgelder stark gemindert, das Teilnehmerfeld entsprechend weniger prominent. Nach Jahren der Diskussion beschlossen die Stadtverordneten am 10. März 1905 den Rathausneubau. Der eher unbekannte Darmstädter Architekt Karl Roth wurde beauftragt, seine vorgelegten Pläne zunächst zu überarbeiten und danach zu realisieren. Ihm wurde Edmund Bräter zur Seite gestellt. Der bisherige Baustadtrat wollte sich der Herkulesaufgabe des modernen Neubaus für die Stadtverwaltung widmen. Ganz nebenbei öffnete sich mit seinem Rücktritt das Tor für die Lichtgestalt des Hans Erlwein als Bräters Nachfolger.
Im April 1905 wurde die Freilegung des Baufeldes abgeschlossen. Ein ganzer Stadtteil südöstlich der Kreuzkirche fiel auf einer über 9.000 Quadratmeter großen Fläche der Abrissbirne zum Opfer. Darunter waren Reste der Bastion Jupiter der Festung aus der Renaissancezeit, die barocke Reformierte Kirche, das historische Palais Loß in der Kreuzstraße sowie die Superintendentur. Neben dem Baufeld selbst wurde eine Fläche für den repräsentativen Rathausvorplatz gewonnen.
Der Beginn der eigentlichen Bauarbeiten erfolgte am 25. April 1905. Das stadtbildprägende Rathausgebäude entstand auf einem unregelmäßigen Grundriss als vier- bis fünfgeschossiger Baukörper. Der zweite von sechs Innenhöfen wurde als Lichthof gestaltet und sollte das Stadtmuseum beherbergen. Über einem vier Meter dicken Fundament sollte der 100,3 Meter hohe Rathausturm schließlich den Turm des Residenzschlosses knapp überragen.
Letzteres war ein gehöriger Affront gegenüber dem Königshaus. Trotzdem führte der volkstümliche König Friedrich August III. zur feierlichen Grundsteinlegung am 29. Mai 1905 die feierlichen drei Hammerschläge auf den 90 Zentner schweren Grundstein aus Granit aus. In den Stein war eine Bronzetafel eingelassen, neben dem Stadtwappen beschrieb sie den komplizierten Planungsprozess auf Latein. Nach dem König ließen Prinz Johann Georg, Prinzessin Mathilde, Oberbürgermeister Otto Beutler und weiteren Politiker sowie Baumeister den Hammer feierlich auf den Grundstein fallen.
Im Oktober 1910 konnte die Stadt den neuen – und ob seiner Architektur damals stark umstrittenen – Verwaltungssitz am Ring feierlich einweihen.