

Dresden hat einen Schweizer gefragt, wie viel Hochhaus die berühmte Stadtsilhouette verträgt. Christian Blum, Stadtbauer der Eckhaus AG aus Zürich, ist der Verfasser dieses Hochhaus-Leitbildes. Für ihn ist es die zwölfte Stadt und er habe noch nirgendwo Experten derart »sorgfältig« um das Thema ringen sehen. Befragungen, öffentliche und interne Dialogrunden seit 2019. Das Fazit des Schweizers: »Die historische Silhouette von Dresden verträgt keine Hochhäuser, peripher sind sie schon denkbar.« Damit sind alle Diskussionsfelder eröffnet.
Ab wann ist ein Haus eigentlich ein Hochhaus? Hat Dresden viele oder wenige und wo könnten sie künftig gebaut werden? Und wie sollen sie dann aussehen? Fragen über Fragen, die Christian Blum nach einem Prozess vieler Gremien auf 124 Seiten beantwortet. Er hat zunächst auf Dresden geschaut und ist, wie alle vor ihm, beim weltberühmten Canaletto-Blick gelandet. Die Kultur des Blickes auf die Stadt beginnt mit einem Gemälde von Philipp Galle 1587, der Canaletto-Blick folgt 1748, Fritz Bleyl zeichnet ihn 1912 – heute steht an dieser Stelle ein Rahmen, durch den Touristen den Canaletto-Blick sehen.
Der bewusste Blick auf die Altstadt hat sich seit der Renaissance entwickelt. Heute ist Dresden in eine Landschaft an der Elbe eingebettet, der Horizont erscheint noch als grüne Linie, der Stadtkörper weist nicht groß darüber hinaus. Hochhäuser in Dresden – das ist weniger die Glasfassade, die in den Himmel ragt, sondern es sind »Blockkörper» mit Kuppel und Türmen, wie Ernemann-Bau, Rathaus, Yenidze, Beyer-Bau oder Semperoper – Gebäude, an die man beim Wort »Hochhaus« zunächst nicht denkt. Erst in den 1970er Jahren kam mit der brachialen sozialistischen Baukultur das freistehende Hochhaus als Wohnhaus in Dresden an.
Doch ab wie viel Metern ist ein Haus ein Hochhaus? Zu wenige Sichtpunkte berücksichtigt? Laut Rettungskräften ab 22 Metern – denn ab dieser Höhe können Feuerwehren nicht mehr am Haus anleitern, mit der Konsequenz, dass das Gebäude von Anfang an mit Sicherheitstreppenhaus geplant werden muss. Architekten sprechen von »Stadtakzent« ab 52 Metern, einem »Hochhaus« von 38 bis 52 Metern und einem höheren Haus von 22 bis 38 Metern. Danach hat Dresden 138 höhere Häuser und 116 Hochhäuser. 40 Prozent davon sind Wohn-Plattenbauten.
Der Autor des Leitbildes hat sich der Frage, wo neue Hochhäuser gebaut werden könnten, mit einem ganzen Kriterien-Katalog gewidmet. Neben Stadtstruktur, dem Schutzraum Elbwiesen, Kulturdenkmälern, aber auch dem Flughafen, spielen Sichtpunkte eine entscheidende Rolle: Neun Stück wurden als prägend ausgemacht. Von diesen Sichtpunkten aus ergeben sich Sichtfenster – historisch wertvolle Blickachsen, die bewahrt werden sollen. So kommt das Leitbild auf zwei Gebiete, die peripher genug erscheinen, um Hochhäuser zuzulassen.
Der Auslauf der Weißeritz mit seiner Prägung durch Industriegebäude und Dobritz / Niedersedlitz, das mit seinen Wohnhochhäusern der 70er Jahre eine moderne Weiterführung denkbar macht. Torsten Kulke von der Gesellschaft Historischer Neumarkt hält den Lauf der alten Weißeritz für viel zu stadtnah, um Blickachsen nicht zu zerstören. Er erinnert an die Tadicom, die im Ostragehege ein Hochhaus an der Elbe bauen wollte. Aus Sicht von Torsten Kulke haben die Experten viel zu wenige Sichtpunkte herangezogen.
Er ist froh, dass wenigstens noch der Fichteturm und der Bismarckturm mit in die Betrachtung eingegangen sind. Auch das Argument, jenseits von fünf Kilometern Entfernung verschwimme die Stadtsilhouette ohnehin zu einer Textur – daher brauche es keine entfernteren Sichtpunkte – kann er nicht nachvollziehen. »Bitte keinen Hochhausring um die Altstadt«, mahnt er. Stadtplanerin Anja Heckmann versichert: »Das wollen wir auch nicht. Das ist analysiert und für abwegig befunden worden.« Wie bindend das Hochhaus-Leitbild ist, ob es Ausnahmen und Uminterpretationen geben wird – das werden Kinder und Enkel heutiger Dresdner erleben.
Die Studie von Dresdens Blickbeziehungen offenbart aber noch etwas anderes: Die Johannstadt verdeckt wichtige historische Sichten auf die Altstadt. Für Christian Blum ist das eine Aufgabe für nächste Generationen: »Wenn diese Hochhäuser am Ende ihrer Lebenszeit sind, gilt es abzuwägen, wie sich der Stadtteil entwickeln soll, damit dieser wichtige Sichtbereich freigeschaffen werden kann«, sagt er.
INFOS:
Was ist ein Hochhaus? Oberster Fußboden über 22 Meter hoch, Sicherheitstreppenhaus ist notwendig
Erstes Hochhaus weltweit: Chicago, 1885, Home Insurance Building, 42 Meter, Sicherheitsaufzug von Elisha Graves Otis
Erstes Hochhaus in Deutschland: ZEISS Bau 15, 1915 in Jena, 42 Meter hoch
Erstes Hochhaus in Dresden: Ernemann-Turm, 1923, 43 Meter hoch, heute Technische Sammlungen
Buch-Tipp: Volker Hellas »Das Stadtbild von Dresden«, 1996