Birgit Branczeisz

Big Brother beim Heizen

Weinböhla. In Weinböhla steht Sachsens erste intelligente Ortsnetz-Station.
SachsenNetze-Geschäftsführer Dr. Steffen Heine (re.) im Gespräch mit Prof. Peter Schegner von der TU Dresden, wo die Ortsnetzstation entwickelt wurde.

SachsenNetze-Geschäftsführer Dr. Steffen Heine (re.) im Gespräch mit Prof. Peter Schegner von der TU Dresden, wo die Ortsnetzstation entwickelt wurde.

Bild: Martin Förster

Das gute alte Trafohäuschen hat ausgedient. In Weinböhla steht Sachsens erste intelligente Ortsnetzstation des heimischen Stromversorgers SachsenNetze. »DigitechNetz« heißt sie, wurde an der TU Dresden entwickelt, hat 120.000 Euro gekostet und versorgt den Netto-Markt, die Drogerie Rossmann und die umliegenden Wohnhäuser an der Moritzburger Straße/Forststraße. Der Strom kommt aus dem Umspannwerk Meißen.

Mit Strom transformieren ist es nicht mehr getan. Die neue Ortsnetzstation ist eine digitale Plattform, die den Energie-fluss fortlaufend beobachtet, berechnet, modelliert sowie moderiert – alles in Echtzeit. In den Häusern sind dafür digitale Multimeter eingebaut, die kennen viele Kunden. Kunden können Strom handeln Die Plattform ist verbunden mit Versorgern, Einsatzkräften und den Plattformbetreibern. In den Laboren der TU Dresden getestet ist die neue Ortsstation nun draußen als Pilotnetz im Einsatz – »diskriminierungsfrei und komfortabel« soll die Stromversorgung der Zukunft funktionieren, heißt es.

Denn etwas heikel ist so viel Intelligenz schon, die Plattform kann direkt in jedes Haus sehen. Das war zumindest datenschutzrechtlich so knifflig, dass die Visualisierung »Wer wieviel verbraucht und wann« aus der öffentlichen Präsentation herausgenommen wurde. SachsenNetze-Geschäftsführer Dr. Steffen Heine sagt, dass in der kommunalen Wärmeplanung gerade diskutiert wird, inwieweit der Wärmeverbrauch jedes Hauses öffentlich gemacht werden darf. Dass die Netze ganz neu steuerbar werden, soll den Stromfluss nicht nur gleichmäßiger machen, es ergeben sich auch neue Geschäftsmodelle – der Kunde kann Energie, die er nicht benötigt, anbieten – andere können diese Energie kaufen.

Vor diesem Hintergrund ist die Nachricht interessant, dass die Bundesnetzagentur noch im November ein Papier veröffentlichen will, das jedem Haushalt eine feste Wärmeversorgung garantiert. Kunden »abzuschalten« soll rechtlich wie technisch nicht möglich sein. Allerdings kann es passieren, dass etwa Ladezeiten für E-Autos verschoben werden.

Der Echtzeit-Blick in jedes Haus und jeden Betrieb bedeutet für den Energieversorger, sein eigenes Risiko zu minimieren. »So können wir den Netzausbau zeitgenauer planen, bedarfsgerecht ausbauen, wenn es soweit ist«, so Heine. Denn Energiewende bedeutet vor allem Netzausbau – und der basiert nur auf Schätzungen. Die Angst vor Überdimensionierung macht die Runde. 3.000 Neuanschlüsse registrierte SachsenNetze in 2022, dieses Jahr sind es schon 18.000.

Aber was bringen die nächsten Jahre? Im Landkreis Meißen entfallen 150 Megawatt auf Haushalte und Gewerbe, 370 Megawatt verbrauchen Großkunden. Bis 2045 soll es laut Schätzungen ein leichtes Wachstum bei den Großkunden geben, aber die Masse der neuen Last kommt von Wärmepumpen (650 MW) und E-Autos, für die 1 Gigawatt an Strombedarf erwartet wird.

Gleichzeitig speisen Wind und PV-Anlagen unregelmäßig ein. Die kommunalen Wärmeplaner hoffen daher, dass das Gasnetz weiter eine Rolle spielt, um nicht extrem in Stromnetze investieren zu müssen, obwohl Gasversorgung anliegt. Was die Zukunft bringt, soll alle zwei Jahre nachjustiert werden. Sicher ist: Die zweite Ortsstation wird auch in Weinböhla (Tannenstraße) stehen, die dritte in Cunewalde – und es wird ein langer Weg. SachsenNetze hat 6.000 eigene Umspann-Stationen, dazu 1.800 Kunden-Stationen.


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