Faktencheck: Gesichtslähmung ohne Belege mit Corona- Impfung in Verbindung gebracht
„Wie ihr sehen könnt, blinzelt dieses Auge nicht, ich kann auf dieser Seite meines Gesichts nicht lächeln, dieser Nasenflügel kann sich nicht bewegen. Diese Seite meines Gesichts ist völlig paralysiert“: So beschreibt Popstar Justin Bieber am 10. Juni die Gesichtslähmung, an der er leidet. Er habe das Ramsay- Hunt-Syndrom, erklärt Bieber auf Instagram. Schon am selben Tag verbreiteten sich die ersten Beiträge in Sozialen Netzwerken, die Biebers Krankheit mit der Covid-19-Impfung in Zusammenhang brachten. Ob Justin Bieber geimpft ist, ist aber gar nicht bekannt. Unsere Anfrage an Biebers Manager blieb unbeantwortet. Laut Medienberichten wurde der Popstar im Februar 2022 positiv auf das Coronavirus getestet. Es gibt zudem keine wissenschaftlichen Belege für einen Zusammenhang zwischen dem Ramsay-Hunt-Syndrom und dem Covid-19-Impfstoff.
Das Syndrom ist laut dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) die Folge einer früheren Infektion mit dem Varizella-Zoster-Virus, das zum Beispiel Windpocken verursacht. „Das [Windpocken] ist eine ganz normale Krankheit, die man durchmacht“, erklärte uns Virologin Monika Redlberger-Fritz vom Zentrum für Virologie der Medizinischen Universität Wien. „Aber dieses Virus geht nie wieder aus dem Körper weg, sondern bleibt in den Nervenknoten entlang der Wirbelsäule oder im Nervenknoten im Gehirn. Dort versteckt es sich im wahrsten Sinne des Wortes vor dem Immunsystem“.
Sei das Immunsystem aus irgendwelchen Gründen geschwächt, könne das Virus wieder aufflammen, sagte Redlberger-Fritz. Diese sogenannte Reaktivierung der Windpocken nennt man Gürtelrose (Herpes Zoster). Eine seltene Form davon sei die Erkrankung von Justin Bieber.
Bernd Salzberger, Virologe und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie, schrieb uns dazu: „Das Ramsay-Hunt-Syndrom ist eine Form des Herpes zoster – an einem spezifischen Nerv, dem Nervus oticus. Ausbrüche eines Zosters verteilen sich über die verschiedensten Nerven, meistens gürtelförmig – deshalb auch Gürtelrose. Der Nervus oticus ist für die Ohrmuschel zuständig.“ Betroffen sind dabei auch Nervenzellen im Gesichtsbereich, so kann es zu einer teilweisen Gesichtslähmung kommen.
Das Syndrom ist relativ selten: Laut einer gemeinsamen Veröffentlichung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universitäten in Vermont und Utah aus dem Jahr 2018 tritt es bei einem Prozent aller Fälle auf, bei denen das Varizella-Zoster-Virus reaktiviert wird. Es erholen sich laut dem Artikel 70 Prozent der Patienten davon.
Laut Virologin Redlberger-Fritz sind bislang einige wenige Fälle bekannt, bei denen Menschen nach der Impfung eine Gürtelrose bekommen hätten. „Aber, man muss auch dazu sagen: Es sind wesentlich mehr Fälle bekannt, bei denen die Infektion mit Covid-19 die Gürtelrose verursacht hat.“ Fälle, bei denen Menschen nach der Impfung das Ramsay-Hunt- Syndrom bekommen hätten, seien ihr keine bekannt.
Die Studienlage zum Zusammenhang der Covid- 19-Impfung mit der Gürtelrose sei unklar, sagt Redlberger-Fritz. „Das liegt einfach an der Tatsache, dass jede Infektion die Gürtelrose verursachen könnte, auch die Grippe zum Beispiel. Die Gürtelrose kann genauso gut durch mechanische Reizung oder Überbeanspruchung ausgelöst werden – es gibt ganz viele Gründe für die Reaktivierung des Virus.“ Die bisherigen wissenschaftlichen Daten sprechen laut Paul-Ehrlich-Institut weltweit gegen die Covid-19-Impfung als Ursache für eine Gürtelrose. Auch die Covid-19-Erkrankung stehe nach aktuellen Erkenntnissen nicht in Verbindung mit Ramsay Hunt, sagte uns eine PEI-Sprecherin.