André Schramm

Pirna-Neundorf: Alles sicher

Der Rohbau für die P1-Vielstoffanlage steht. Bis Jahresende will Schill & Seilacher das Herzstück der Chemiefabrik wieder in Betrieb nehmen.

 Ein zerbeultes Stahlteil und eine kleine Inschrift auf dem Betriebshof erinnern an den »Störfall« vom 1. Dezember 2014. »Vorhersagen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen«, ist dort zu lesen. Das Zitat stammt aus der Doktorarbeit des Mitarbeiters, der bei der Havarie sein Leben verlor.   Am späten Nachmittag des 1. Dezembers 2014 erschüttert eine Explosion den Pirnaer Ortsteil, Teile der Fabrik landen in den Vorgärten, Fenster gehen zu Bruch. Neben dem Todesopfer gibt es vier Verletzte zu beklagen. »Menschliches Versagen führte zu der Katastrophe«, erklärt Betriebsleiter Dr. Uwe Dittrich knapp vier Jahre später. Mehr könne er dazu nicht sagen.  »Es waren vier Jahre harte Arbeit, um das Vertrauen der Nachbarn und Genehmigungsbehörden zurück zu gewinnen«, konstatiert Dr. Rüdiger Ackermann, Geschäftsführer der Schill und Seilacher Unternehmensgruppe zum Richtfest. Dass dieser Prozess längst nicht abgeschlossen sei, sagt er auch. Man gibt sich dementsprechend Mühe, die Sicherheitsbedenken – vor allem in der Nachbarschaft – zu zerstreuen. Die neue, rund sieben Millionen Euro teure Vielstoffanlage soll laut Unternehmen die gesetzlichen Industriestandards übertreffen. Gebaut werde nach aktuellstem Stand der Technik, heißt es. So bekommt das Gebäude eine explosionssichere Einhausung samt Druckableitungsklappen in der Fassade und Fangnetzen. »Es wird damit künftig unmöglich sein,  es durch eine Explosion zum Einsturz zu bringen«, sagt Ackermann mit Blick auf das patentierte Sicherheitskonzept von Prof. Dr.-Ing. Frank Dahlhaus von der TU Bergakademie Freiberg. Mit einer ganzen Reihe weiterer Maßnahmen soll das Risiko eines erneuten Störfalls weiter minimiert werden. So sind neben der Bauhülle auch Sicherheitsvorkehrungen in der Anlage, aber auch die Fahrweise des Reaktors verbessert worden. Zudem wolle man künftig auf den Einsatz einer ganzen Reihe von bisher verwendeten Stoffen verzichten. Werksleiter Dr. Uwe Dittrich geht davon aus, dass Ende 2018, spätestens Anfang 2019 die P1-Vielstoffanlage wieder in Betrieb geht. Die Jahresproduktion soll dann bei 10.500 Tonnen liegen.
Der Fortbestand des Chemiewerks stand die letzten Jahre auf der Kippe und damit auch rund 120 Arbeitsplätze. Dementsprechend froh zeigte sich auch Pirnas Oberbürgermeister, dass nun alle Auflagen erfüllt werden konnten. Klaus-Peter Hanke spricht von einem langen, schwierigen Weg. »Die Explosion hat tiefe Spuren hinterlassen«, sagt er. Besonders spürt man das in der Nachbarschaft. »Eine havarierte Chemiefabrik mitten im Wohnviertel wird wieder aufgebaut und sogar noch vergrößert - da fehlen mir ehrlich gesagt die Worte«, sagt Autohändler Thomas Huth. Er, aber auch viele Neundorfer fühlten sich von der Politik im Stich gelassen und nun alles andere als sicher. »Jetzt ist vielleicht alles prima. Was ist aber in ein paar Jahren, wenn Routine eingekehrt ist und die Anlagen nicht mehr die neusten sind«, fragt er. Schleierhaft sei ihm auch das hohe Engagement der Landesregierung in dieser Angelegenheit. Insgesamt wird in dem Reaktor mit 200 verschiedenen Stoffen gearbeitet. Neben Produkten für die Kosmetik und die Verarbeitung von Leder für die Textil- und Faserherstellung werden auch Additive für Gummis und Kunststoffe hergestellt. Stabilisatoren für Bauschäume gehören ebenso zum Portfolio. Durch seine Spezialisierung ist Schill & Seilacher auf dem Gebiet fast konkurrenzlos. Es gibt nur eine Hand voll Mitbewerber. Beliefert werden von Pirna-Neundorf aus Kunden in mehr als 100 Ländern.  
Ministerpräsident Michael Kretschmer zeigte sich bei einem Betriebsrundgang beeindruckt von der Bandbreite der Anwendungen. Er wünschte dem Betrieb volle Auftragsbücher in der Hoffnung auf sprudelnde Steuereinnahmen. Die Geschäftsführung kündigte an, weiter am Standort investieren zu wollen – einen zweistelligen Millionenbetrag in den nächsten fünf Jahren.   Ein soziales Projekt im Ort wollen die Schwaben auch unterstützen. Die verletzten Kollegen seien dem Unternehmen zufolge wieder in Arbeit bzw. verrentet.


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