Es gibt wohl wenige Menschen aus der Lausitz, die den Wandel dieser Bergbauregion so hautnah erlebt und mitgestaltet haben, wie es Walter Karge (79) tat. Er ist ein Bergmann durch und durch und das liegt nicht nur daran, dass er zum Barbaratag - die Bergleute feiern ihre Schutzpatronin - genau 80 Jahre alt wird. Trotz seines Alters ist er von respektabler Gestalt. Das liegt vielleicht auch an seinem Hobby, dem Boxen, dem er noch heute beim SV Senftenberg frönt. Senftenberg, das ist auch die Stadt, in der er von Geburt an lebte, liebte und arbeitete.
Vom Schlosserzum Gestalter
Es war das Jahr 1910, als Walter Karges Großeltern von Welzow nach Senftenberg zogen: »Mein Großvater war 1. Presse in der Brikettfabrik Brieske«, erzählt er. Seine Eltern unterbrachen zwar kurz die Bergmannstradition in der Familie und frönten dem selbstständigen Friseurhandwerk, doch den jungen Walter zog es wieder hin zum schwarzen Gold – er begann 1955 eine Schlosserlehre im Braunkohlenwerk (BKW) Franz Mehring. Als frischgebackener Schlosser lernte er im Tagebau Niemtsch die Faszination einer Förderbrücke kennen, ehe er 1959 ein Studium der Bergmaschinentechnik in Zwickau begann. Anfang der 1960er-Jahre kehrte er als diplomierter Bergmann verheiratet und als stolzer Vater in die Heimat zurück.
Beruflich ging es wieder in das Briesker BKW, aber kurze Zeit darauf startete der Senftenberger sein berufliches Lebenswerk mit dem Aufbau des neuen Tagebaus Meuro. Walter Karge war aktiv dabei, als die neue Großtechnik vom BfG Lauchhammer westlich von Hörlitz aufgebaut wurde. Zunächst als Tagebau-Mechaniker, später als technischer Leiter. Mitte der 1980er-Jahre war er als Instandhaltungsleiter im BKW, Chef über 5 500 Mitarbeiter. Bereits damals lag ihm die Rekultivierung der geschliffenen Natur sehr am Herzen. So begründete Walter Karge im Tagebau Meuro die ersten Sanierungsflächen. Auf diesen steht heute der Lausitzring. Nach der politischen Wende wurde Karge 1992 bei der neu gegründeten Lausitzer Braunkohle AG Betriebsdirektor der Tagebaue Meuro und Klettwitz-Nord. Einige Jahre später stand er in Brandenburg an der Spitze des bundeseigenen Sanierungsunternehmens Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV), in deren Regie die nicht privatisierten Tagebaue fielen. Tausende Bergleute bangten damals um ihre Arbeit. »Am schlimmsten für mich war es, die vielen Kündigungen zu unterschreiben, denn einige Kollegen kannte ich schon sehr lange«, erinnert sich Karge.
Nach seinen Schätzungen sind in und nach der Vereinigungszeit über 200 000 Arbeitsplätze vernichtet worden. Inzwischen ist die Sanierung der zerstörten Lausitzer Landschaft fast zu Ende, und in den früheren Kohlegruben entsteht eine Seenkette.
Es gab keine Alternative
»Wir hätten die Löcher nicht voll bekommen«, stellt der Bergmann klar, als er über das Lausitzer Seenland spricht. »Es war einfach nicht genug Abraum vorhanden, um die Restlöcher zu schließen.« Was heute als großartige Rekultivierungsidee der Nachwendezeit gefeiert wird, war schon 1960 in den Köpfen der DDR-Bergleute. Laut Walter Karge geht die Idee der Seen sogar schon auf das Jahr 1930 zurück: »Bergleute und Wasserwirtschaftler haben schon immer eng zusammengearbeitet. Da wir in einem geotechnisch in Urstromtal leben, ist Wasser immer ein Thema.« Das Projekt Senftenberger See war also ein Pilotprojekt des heutigen Seenlandes: »Wir haben sogar den Drehpunkt des Tagebaus von Niemtsch nach Koschen verlegt, damit der Strandbereich an Senftenberg angrenzt.«
Inselrutschung normal
Mit der neuen Strategie im Lausitzer Braunkohlerevier mussten auch schnelle Umplanungen für das Lausitzer Seenland her: »Wir hatten überhaupt nicht vor, den Großräschener See zu installieren.« »Es sollte nur ein Randschlauch an der Calauer Straße entstehen«, fügt er hinzu. »Der Tagebau Meuro wäre mit Abraum aus Greifenhain geschlossen worden, denn da gab es durch den Lausitzer Grenzwall einen Überschuss an Material«, erzählt der Fachmann. Dass heute so getan wird, als sei die Seenland-Idee ein Nachwende-Kind, ärgert den Bergmann. Aber auch fachlich lässt er durchblicken, dass nicht alles in der Schuld der Vergangenheit liegt.»Die Insel des Senftenberger Sees ist nur geschüttet und unsaniert, denn sie sollte unbedingt für den Naturschutz genutzt werden«, erinnert er sich. »Bei einer Verdichtung wäre das Eiland zum großen Teil verschwunden«, stellt Karge klar. Einen weiteren Grund, dass ein Teil der Insel versunken ist, sieht Karge in der Missachtung der Wasserstände. Die restlichen Ufer des Senftenberger Sees sind für den Experten sicher. Im Bereich Südsee veranlasste Karge in seiner aktiven Zeit als Sanierungsbereichsleiter der LMBV Sprengungen, um mit starken, in den Boden eingeleiteten Initialen die Stabilität dieser Kippe zu gewährleisten: »Dass ist uns auch gelungen«, zeigt er sich zufrieden.
Lausitz hat sich gewandelt
»Ich kenne die Lausitz früher und heute«, lächelt Karge. »Die neue Lausitz gefällt mir aber besser.« Aus seiner Sicht sind fehlende Einlaufbauwerke für die Hochwasserzuführung noch ein Mangel und für ihn steht die Übernahme der Seen in die Landeshoheit als Stausee zur Debatte. Aber erst mal geht der rüstige Bergmann zu seinem SV Senftenberg, zum Fitnessboxen, damit er sich noch lange an seiner Heimat erfreuen kann, die er als Bergmann mitgestaltet hat.