Pflege: Mangelversorgung droht - Kosten laufen aus dem Ruder
Landkreis Görlitz. Es klingt unglaublich, was Anne Bräsel, Mitarbeiterin vom Pflegedienst Aiutanda, im Rahmen einer Veranstaltung zum Thema Pflege in Königshain bei Görlitz berichtet.
Einer ihrer jungen Patientinnen im Wachkoma wurde der außerklinische Intensivstatus seitens der Krankenkasse aberkannt. Bislang sei die Patientin Zuhause von einem Pflegeteam rund um die Uhr betreut worden. "Jetzt soll sie in eine Einrichtung", berichtet Anne Bräsel fassungslos. Herausgerissen aus dem vertrauten Umfeld also. Theoretisch könnte die junge Frau weiter Zuhause betreut werden, wenn die Mutter mehr als 5000 Euro monatlich privat zahlt. Doch wer kann soviel Geld aufbringen?
Über die Sorgen und Nöte der Pflege im ländlichen Raum zu sprechen, dazu hatte Susan Kothe-Spieß, Chefin des Reichenbacher Pflegeteams im Rahmen einer Diskussionsrunde in die Königshainer Tagespflege "Zum Hochstein" eingeladen. Angehörige kamen, Pflegedienste aus der Region, Institutionen und mit Florian Oest ein Politiker, der den Wahlkreis Görlitz im Bundestag vertreten möchte.
Brisante Punkte kamen zur Sprache, die Auswirkungen auf den gesamten Landkreis Görlitz haben. So ist der Platz im Pflegeheim für viele Menschen im Kreisgebiet mittlerweile nicht bezahlbar. Etwa 3000 Euro aus eigener Tasche können sich immer weniger Menschen leisten. Der Landkreis muss finanziell einspringen. "Das sind Millionenbeträge und diese Belastung wird immer weiter steigen", sagt Kreis-Sozialplaner Matthias Reuter. Die Kosten würden aus dem Ruder laufen, schätzt der Fachmann ein.
Aus dem Sozialstrukturatlas 2021 geht hervor, dass etwa 26.000 Menschen im Kreis Görlitz auf Pflege angewiesen sind. Das ist bei knapp 250.000 Einwohnern etwa jeder Zehnte zu diesem Zeitpunkt gewesen. Die Anzahl der Pflegebedürftigen steigt allerdings weiter, wie Matthias Reuter bestätigt. Und damit die Kosten für den Kreis. Eine scheinbar Endlos-Spirale. Das vielen Menschen Geld fehlt hängt teils mit den gebrochenen Erwerbsbiografien kurz nach der Wiedervereinigung zusammen. Betriebe machten dicht, die Arbeitslosenquote war eine Zeitlang mit bis zu 30 Prozent besonders hoch und viele Menschen wurden in ABMs - also Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen - vermittelt, die keinen hohen Lohn einbrachten. So konnte wenig Geld in die Rente gesteckt werden und private Vorsorge blieb mangels finanzieller Kraft aus.
Besser sieht es in der ambulanten Pflege nicht aus. Susan Kothe-Spieß berichtet, dass die Leistungen teurer werden, somit Pflegebedürftige mehr Geld zahlen müssten und nicht jeder sich private Zuzahlungen leisten kann. "Mangelversorgung droht", sagt sie. Im ländlichen Raum auch deshalb, weil Pflegedienste aufgrund langer Wege und des damit verbundenen Zeit- und Kostenaufwandes womöglich nicht mehr alle Patienten versorgen könnten. So ist der Mindestlohn für Pflegehilfskräfte auf derzeit 18,72 Euro gestiegen, den die Pflegedienste ihren Mitarbeitern zahlen, also finanzieren, müssen.
2026 steht die nächste Personalkostenerhöhung an. Dann müssen die Preise für die Pflege erneut kalkuliert werden und es wird für die Patienten weiter teurer. Oder für den Landkreis, der für Sozialleistungen in der häuslichen Pflege einspringen muss, wie die Pflegedienstchefin sagt.