Eine Sucht entwickelt sich nicht übers Wochenende
Auch die diesjährige Suchtpräventionswoche für Kinder und Jugendliche unter der Leitung des Sachbereichsleiters der Stadt, Roland Huth, war wieder ein voller Erfolg. »Tatsächlich waren alle Präventionsveranstaltungen ausgebucht. Der Zuspruch war super gewesen und wir sind mehr als zufrieden«, blickt Roland Huth in der Jugend- und Projektförderung zurück. Wir fragten in der Suchtberatungs- und behandlungsstelle im Haus Bethesda bei deren stellvertretenden Leiterin Katrin Fleischmann nach, wie dort die Entwicklung aussieht.
Frau Fleischmann, wie ist die Entwicklung in puncto Beratung und Drogenkonsum?
Katrin Fleischmann: 2023 haben wir insgesamt 2.090 Beratungsgespräche erfasst. Im Jahr davor waren es noch 1.880. Diese verteilten sich auf 447 betreute Klienten. Das waren 51 mehr als 2022. 2019 wurden 2.190 Beratungsgespräche geführt. Die Differenz zum letzten Jahr hat sowohl mit dem »Corona-Knick« zu tun, mit dem viele soziale Einrichtungen zu tun hatten und haben. Aber auch mit einer veränderten personellen Ausstattung.
Welches Thema war bei den Klienten besonders gefragt?
Wie in den Vorjahren liegt der Schwerpunkt der Beratung beim Thema Alkohol. 55 % der Gespräche drehten sich darum, während 31 % der Ratsuchenden wegen einer Drogenproblematik bei uns waren. Cannabis und Methamphetamin (Crystal) streiten sich seit ein paar Jahren um den ersten Platz bei den Drogen. Im letzten Jahr lag Cannabis vorn. 2021 war es noch Meth.
Mit welchen Problemen kommen Menschen in die Beratungsstelle?
Die Themen, die unsere Klienten beschäftigen haben sich nicht verändert. Sie kommen zu uns, weil sie Druck haben von ihrem Umfeld, aus der Familie, aber auch vom Arbeitgeber, dem Jobcenter, der Bewährungshilfe. Gerade in Familien steht es manchmal in Frage, ob jüngere Kinder mit ihren Eltern zusammenleben können, wenn diese Substanzen konsumieren. Natürlich hat es sich längst herumgesprochen, dass man sich in der Suchtberatung auch zur Medizinisch Psychologischen Untersuchung (MPU) informieren kann, wenn man die Fahrerlaubnis wegen Alkohol oder Betäubungsmitteln verloren hat. Und nicht zuletzt ist es auch die Sorge um die eigene Gesundheit, die die Menschen zu uns führt.
Thema Cannabis: Welche Erfahrungen konnten damit gemacht werden?
Das Cannabis, das heute auf den Straßen erhältlich ist, ist nicht zu vergleichen mit dem, das noch vor wenigen Jahrzehnten konsumiert wurde. Der Wirkstoffanteil ist deutlich höher, und damit steigt auch das Suchtpotential. Gleichzeitig hat sich die Substanz in die Mitte der Gesellschaft geschlichen, erlebt eine ansteigende Akzeptanz in der Bevölkerung und wird mittlerweile gern mit dem berühmten Glas Rotwein am Abend verglichen. Genau wie beim Alkohol werden die Risiken aber oft unterschätzt. Gerade im Straßenverkehr gibt es eben keine griffige Formel, mit der man ausrechnen kann, wann man wieder nüchtern ist. Der inzwischen eingeführte Grenzwert von 3,5 Nanogramm kann ohne Weiteres noch überschritten sein, während der Konsument längst keine Wirkung mehr spürt. Und wer will schon darüber nachdenken, dass das Lungenkrebsrisiko beim Kiffen sogar noch höher ist als beim Rauchen von Zigaretten, wenn er oder sie sich nach Feierabend mit dem Joint mit Gras aus eigenem Anbau entspannen will.
Das heißt?
Es bleibt abzuwarten, inwiefern sich die Teillegalisierung in konkreten Zahlen in unserer Arbeit zeigt. Erfahrungsgemäß wirken sich sowohl Krisen wie die Corona-Zeit, als auch politische Entscheidungen stark zeitverzögert aus. Eine Sucht entwickelt sich schließlich nicht über‘s Wochenende.
Was raten Sie Eltern und Angehörigen, die den Verdacht haben, dass ihre Kinder oder Angehörige drogensüchtig sind?
Der wichtigste Punkt zuerst. Ein süchtiges Verhalten wird gern versteckt oder wenigstens kleingeredet. Also raten wir, die betroffene Person direkt, aber wohlwollend anzusprechen. »Mir ist aufgefallen, dass…«, »Ich mache mir Sorgen über…« Das kostet schon Überwindung. Betroffene leugnen anfangs oft, dass sie ein Problem haben, und Angehörige sind dann verunsichert, ob sie vielleicht überzogen reagieren. Aber ich habe noch nie ein Familienmitglied wegschicken müssen, weil an ihren Sorgen nichts dran gewesen wäre. Wo Rauch ist, da ist oft auch Feuer oder es kann ein Feuer entstehen. Und zweitens – herkommen. Unsere Angebote sind kostenfrei und auf Wunsch auch anonym. Egal, ob allein oder gemeinsam mit dem/der Betroffenen. Unterstützung bekommt die Person, die Unterstützung sucht. Und dann überlegen wir gemeinsam, was helfen könnte.
Den 14. November 2024 hat die Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren zum Aktionstag Suchtberatung erklärt. Warum ist so ein Tag wichtig?
Wir stellen im Kontakt mit Betroffenen, aber auch in unserem Netzwerk immer wieder fest, dass es vielen Menschen nicht so ganz klar ist, was eigentlich unsere Aufgabe ist, wem wir helfen und auf welche Weise. Aber vor allem müssen wir unsere Kostenträger, den Kommunen, den Landkreisen und dem Freistaat immer wieder daran erinnern, dass unsere Arbeit nicht nur Geld kostet und die Haushalte belastet. Unsere Arbeit spart auch Kosten ein.
Wie zeigt sich das konkret?
Wir fangen Menschen oft schon auf, bevor eine ambulante Psychotherapie oder eine akut stationäre Behandlung notwendig werden und helfen dabei, psychosozialen Folgen abzumildern oder ganz zu vermeiden. Jeder Betroffene, bei dem eine dauerhafte Erwerbslosigkeit oder gar Berentung wegen einer Sucht vermieden werden kann, ist ein Gewinn für unsere Gesellschaft als Ganzes. Und dazu trägt die Suchtberatung bei. Bei uns ein Gespräch zu bekommen, geht viel schneller als in einer Psychotherapiepraxis und trägt viele Menschen auch schon ein ganzes Stück ihres Wegs. Wer seine Fahrerlaubnis zurück erhält, kommt auch wieder in Arbeit. Und welche positiven Effekte es hat, wenn nüchterne Eltern ihren Kindern ein sicheres Zuhause geben können, das muss man wohl nicht weiter ausführen. Suchtberatung ist definitiv kommunal und gesamtgesellschaftlich wertvoll. Das will der Aktionstag allen Beteiligten wieder ins Gedächtnis rufen.
Kontakt für Hilfesuchende
Suchtberatungs- & -behandlungsstelle Hoyerswerda
St. Martin StattRand gGmbH
- Schulstr. 5, 02977 Hoyerswerda
- Tel.: 03571/ 428504
- Fax: 03571/ 408255