Die Vorlese-Oma
Vor jeder Lesung geht es für Birgit Richter um die Erwartungshaltung. Die eigene, die ihrer Zuhörer. Bei Erwachsenen, "möchte ich deren Neugier wecken, sie mit meinen Geschichten fesseln", so die Kamenzer Autorin. Liest sie Kindern vor, "hoffe ich darauf, das sie mir konzentriert zuhören". Die Realität sieht jedoch oft anders aus: bei ihren Lesungen in Kitas und Grundschulen geht es häufig lebhaft zu. Wenn Klassen unruhig sind, die Aufmerksamkeit nachlässt, legt sie das Buch beiseite, plaudert mit den Kids, in der Hoffnung, das man ihr wieder zuhört, wenn sie ihre unterhaltsamen Kindergeschichten vorträgt. Frage an die Autorin: Wie wird es es am Freitag in Königsbrück sein? Sie grinst: "Vermutlich anstrengend".
An diesem Freitag, am bundesweiten Vorlesetag, wird auch in der Region in Schulen, Bibliotheken und Kitas vorgelesen, ist die Kamenzer Schriftstellerin Birgit Richter ebenfalls im Lese-Einsatz. Ihre Mission: Kinder fürs Lesen, für die Literatur, zu begeistern. Ist ja schließlich die Intention des bundesweiten Vorlesetages, ein öffentlichkeitswirksames Zeichen für das Lesen und die Freude am (Vor-)Lesen zu wecken. Mit dem Ziel Lesekompetenz und Bildungschancen zu fördern. An diesem von DIE ZEIT und der Stiftung Lesen und Deutsche Bahn Stiftung durchgeführten Lesefest werden sich wieder über 160000 Vorleser beteiligen. Die Idee, die dahinter steht: Jeder, der Spaß am Vorlesen hat, liest an diesem Tag anderen vor - in Schulen, Kindergärten, Bibliotheken oder Buchhandlungen, aber auch an außergewöhnlichen Orten wie Bahnhöfen und Zügen. Der diesjährige Aktionstag, der seit 2004 alljährlich am dritten Freitag im November durchgeführt wird, trägt das Motto "Vorlesen schafft Zukunft!".
Die gebürtige Kamenzerin hat schon an etlichen dieser bundesweiten Vorlese-Aktionen mitgemacht. Seit zwanzig Jahren schreibt die 66-Jährige, hat bisher 17 Bücher veröffentlicht, ein Großteil davon Kinderbücher. Bevor sie freie Autorin wurde, war sie in einer Apotheke beschäftigt. Als sie sich 2004 entschied, als freie Autorin zu arbeiten, habe sie das auch gemacht, um "mich selbst zu verwirklichen, mir meinen Traum von Schriftstellerdasein zu erfüllen". Die Kamenzerin beschreibt, warum das Vorlesen so wichtig ist. "Damit wird die soziale und emotionale Entwicklung der Kinder gefördert", erklärt die Autorin, die Kinderliteratur unter ihrem bürgerlichen Namen veröffentlicht. Bücher für die Erwachsenen werden hingegen unter ihrem Pseudonym Gitti Strohschein publiziert. Sie hat schon einige Kinder-Generationen erlebt. Ihr Eindruck: Bei den Heranwachsenden nehme die Aufmerksamkeit seit Jahren zunehmend ab, das merke sie bei den Lesungen. Es werde auch in den Familien immer weniger vorgelesen, bedauert sie. Dabei sei das Vorlesen so immens wichtig. Weil es verbindet, Nähe schafft, ein Gefühl von Geborgenheit vermittelt. Wer vorliest, sagt auch: Alles in Ordnung! Kommt zur Ruhe, taucht ins Reich der Phantasie ab! Birgit Richter, Mutter von zwei erwachsenen Söhnen, erzählt davon, dass sie ihren drei Enkeln oft vorlese. "Das genießen sie, für sie bin ich die Vorlese-Oma", schmunzelt die Autorin, die sich auf diesen Freitag freut. Da werde sie in der Königsbrücker Grundschule vier 45-minütige Lesungen durchführen, aus ihren Büchern "Blöder Affe, doofe Ziege" und "Der Schatz in der Hütte" vorlesen.
Und danach "hoffe ich, dass ich noch eine Stimme habe". Dabei lächelt sie.