Kafka und (k)ein Ende
Wann hattest Du Deine erste Lese-Begegnung mit Kafka?
1984 brachte der "Buchverlag Der Morgen" eine großartig illustrierte Ausgabe heraus "Die Verwandlung und andere Tiergeschichten". Das ist meine erste Kafka-Lektüre-Erinnerung. Und ich weiß noch, wie ich dachte: Das sind doch keine Tiergeschichten! Denn wenn das Kafkas Tiergeschichten sind, dann werde ich Kafka nie verstehen. Und in dem Glauben blieb ich, bis ich Reiner Stachs Kafka-Biografie las, Jahrzehnte später. Danach regte sich was: Vielleicht könnte das mit mir und Kafka doch noch was werden. Und ja, es wurde noch was...
Du hattest die Idee mit dem Kafka-Festival in Cottbus. Ist die Idee aufgegangen?
Für mich persönlich auf jeden Fall :) Und mein Eindruck bei den Besucherinnen und Besuchern ist: Viele suchen nach einem Zugang zu diesem Kafka und seinen Texten, über Filme, Musik oder die Lesungen. Für mich gibt es nichts Erfüllenderes, als wenn so ein traditionsreicher Ort wie das Glad-House dieser Suche mit einem vielfältigen Angebot entgegenkommt. Das haben auch sogar große Medienanstalten gemerkt, sodass wir uns also über deren Resonanz nicht beklagen konnten. Dass Cottbus über Literatur überregional auf sich aufmerksam machen würde, hatte ich beim besten Willen nicht vorhergesehen, aber jetzt im Rückblick ist es eigentlich auch nur folgerichtig.
Ihr hattet einige interessante Experten im Programm. Gab es für Dich neue Erkenntnisse?
Ich habe vermutlich jetzt verstanden, was Kafka meint mit "Ich bestehe aus Literatur." Er hat literarische Liebesbriefe geschrieben. Noch auf dem Totenbett sind geniale Kurztexte entstanden. Sein letzter Brief, an seine Eltern, ist große Literatur. Vielleicht ist auch deswegen vieles Fragment geblieben, weil er so viel Literatur in sich trug, dass es Zeitvergeudung gewesen wäre, an alten Texten zu feilen. Da musste immer wieder Neues raus, vielleicht.
Kafka war nie in Cottbus. Was hat er trotzdem mit der Stadt zu tun?
Kafka hat hier jede Menge Fans, die sich in seinem Werk echt gut auskennen. Das merkt man normalerweise nicht so, denn Lesen ist eine einsame Beschäftigung. Das Festival hat das sichtbar gemacht, was vielleicht meine enthusiastischste Erfahrung war. Aber es wundert mich jetzt auch nicht mehr, denn Kafka ist Weltliteratur und Cottbus ist Teil der Welt, ganz simpel eigentlich. Cottbus hat jede Menge Kafka-Neugierige, einige davon sind durch das Festival neugierig geworden. Für mich am wunderbarsten ist: Der Nachlass Kafkas und auch seines Freundes Max Brods wird in der National Library of Israel in Jerusalem von Dr. Stefan Litt betreut, Kurator für die geisteswissenschaftliche Sammlung dort. Stefan Litt ist in Cottbus geboren und zur Schule gegangen. Mein Gänsehaut-Gedanke: Ein Cottbuser betreut Kafkas Nachlass!
Wer Kafka liebt, aber ihn "ausgelesen" hat, bei welchen Autoren findet er Spuren von ihm?
Würde mal sagen, Kafka "liest man nicht aus", das Verstehen seiner Texte fängt immer wieder von vorn an, der Lektüregenuss auch. Aber am meisten Kafka - wenn es diese Frage schon sein soll - finde ich bei Thomas Brasch.
Das Festival hat gezeigt, wie vielseitig man mit Literatur umgehen kann. Welche Jubiläen stehen 2025 und danach an?
So ein Jubiläum ist natürlich dann Glückssache, wenn es so weltweit gefeiert wird wie jetzt bei Kafka. Wir haben also weltweit nach einer bedrückenden gemeinsamen Virus-Erfahrung eine beglückende gemeinsame Literatur-Erfahrung gemacht! Für mich ist das ein großartiges Geschenk und ich brauche daher eigentlich nie wieder ein Jubiläum... Aber wenn mich nochmal was Gemeinsames in größerem Maßstab interessieren würde, dann so etwas wie dieses "tribute to", das im Kafka-Festival lag. Wie und warum erinnern wir uns an große Künstlerinnen und Künstler? Was entsteht bei diesem "Gedenken" und "Würdigen"? Die Kafka-Band ist für mich ein grandioses Beispiel, davon könnte ich mehr vertragen.
Welchen Eindruck hast Du von der Lesefreudigkeit der Cottbuser?
Cottbus liest viel und viel Gutes. Aber es kann nie genug sein!