Die Magie des Oybins: Zeit erleben und vergessen
Vorbei an kreidenden Gesteinsformationen, einer kleinen Bergkirche, durch
die Ritterschlucht und schließlich durch das einstige Burgtor. Alternativ fährt auch eine Gebirgsbahn den Berg hinauf. Oben angekommen ist es wie in einer anderen Welt. Die Ruinen der Burg und des angrenzenden Klosters werfen mich zurück in eine vergangene Zeit, an diesem Tag untermalt von sanften Instrumentalklängen. Ein Geiger aus Tschechien bespielt die Klosterkapelle regelmäßig gegen Hutgeld, weil er die Atmosphäre in der imposanten Kulisse genießt. Und auch um die Besuchenden anzuhalten, sich dem romantischen Ambiente vollkommen hinzugeben. Die von der Berglandschaft eingerahmten Burgüberbleibsel geben die besten Voraussetzungen dafür. Die Steine des Bauwerks wurden im 13. Jahrhundert gelegt. Danach entstand nicht nur eine Schutzburg, sondern auch der geplante Altersruhesitz des römisch-deutschen Kaisers, ein Cölestinerkloster, Aufbewahrungsort für kostbare Schätze und vieles mehr. Rund 200 Jahre spielte sich Kloster- und Burgleben hier Tür an Tür ab. Diese
Kombination allein ist schon ungewöhnlich, da weltliche und geistliche Macht zu diesem Zeitpunkt allerorts streng getrennt wurden. Bis die Reformation dem Klostergeschehen dann
das Leben aushauchte. Aber auch noch als Ruine machte sich das Bauwerk einen Namen. Als Inspiration für einige der größten Maler der Romantik. Und sogar heute, rund 700 Jahre später, wird das Areal noch am Leben gehalten. Als Ort zum Erinnern und zum Entschleunigen.
Wie die Mönche zur Burg kamen
Der Oybin wurde seit jeher vom Volk verehrt. Wie ein gigantischer Bienenkorb geformt, erhebt er sich aus dem Tal. Später kam die wirtschaftliche Bedeutung hinzu. Gleich zwei nahegelegene Handelswege machten es nützlich, auf dem Gebirgsplateau eine Schutzburg für Handelsleute zu errichten. Dem Kaiser Karl IV. gefiel die Idylle auf dem Oybin so prächtig, dass er 1364 ein Kaiserhaus hier errichten ließ. Zum Bau gehörte auch die gotische Kirche, deren Überbleibsel auch heute noch das Herzstück der Anlage bilden. Innen ließ er sich sogar seine private Kapelle einbauen. Vieles deutet darauf hin, dass er sich im Alter hier im Zittauer Gebirge niederlassen wollte. Der Kaiser war nicht nur ein Liebhaber von Naturidylle, sondern unter anderem auch vom Studieren seltener griechischer Schriften. Der Mönchsorden der Cölestiner aus Italien war im Besitz solcher heiligen Bücher. So wollte Karl IV. die Geistlichen mitsamt der Schriften zuerst zu sich nach Prag umsiedeln. Doch die Cölestiner waren Einsiedlermönche, welche die Abgeschiedenheit präferierten. Da das Stadtleben nicht infrage kam, ließ Karl IV. ein Kloster auf dem Oybin errichten. Hier war ein Leben in Stille möglich. Die Mönche legten nicht mal einen für Kloster üblichen Kreuzgarten an, da der Blick auf Berg und Tal für sie genug Paradies war. Der Bau gilt als das einzige italienische Kloster nördlich der Alpen. Zeitweise lebten hier bis zu 12
Mönche. Durch die Sammlung der hochwissenschaftlichen Schriften entwickelten sich ebenso
eine Bibliothek, eine Buchbinderwerkstatt und eine Eliteschule.
Die uneinnehmbare Festung
Es grenzt eigentlich an ein Wunder, dass die Grundstruktur von Burg und Kloster heute noch so gut erhalten ist. So viel, wie sie abgehalten hat. Zum Beispiel Raubzüge während des
Hussitenkrieges. Es gab ja auch nicht wenig zu holen. In der Relikienschatzkammer der Burg war ein Teil des Prager Schatzes versteckt. Die steilen Felsen und dicken Mauern hielten die
Attacken der Hussiten jedoch gleich zweimal ab. Die Festung galt seitdem als uneinnehmbar. Doch auch die uneinnehmbarste Festung muss schließlich den Zeichen der Zeit weichen. Die
gängige Erzählung ist, dass sich das Kloster während der Reformation auflöste. Doch offiziell wurde das Kloster nie entweiht. Die alten Mönche starben einfach aus und es gab keine neuen
Anwärter. Die jungen Leute bildeten sich lieber in den Städten. Mit dem Leerstand wurden die Häuser nur noch notbewirtschaftet. 1577 schlug dann ein Blitz auf dem Felsmassiv ein. Niemand traute sich einen Löschversuch zu, da die Pulverkammern in der Burg jederzeit explodieren könnten. So brannten die Gebäude zwei Wochen lang aus. Ein Jahrhundert später gab ein Felsabriss der Konstruktion dann den letzten Stoß. Der große Burgturm wurde in die Tiefe gerissen. Nach und nach geriet das Bauwerk in Vergessenheit. Bis es schließlich in der Romantik wiederentdeckt wurde.
Der Oybin wird wiederentdeckt
Schon im 18. Jahrhundert entdeckten einige Künstler den Oybin als Motiv für die Landschaftsmalerei wieder. Doch merklich mehr Aufmerksamkeit bekam er durch die Gemälde von Caspar David Friedrich, einem der bedeutendsten Maler der romantischen Epoche. Als wahlbeheimateter Dresdner unternahm er viele Wanderungen durch die sächsischen Riesengebirge. Im Sommer 1810 durchquerte er das Zittauer Gebirge zusammen mit einem Künstlerfreund. Die beiden stießen auf die verwilderten Ruinen. Der inspirierte Friedrich hatte sofort seinen Skizzenblock zur Hand. Besonders die schmalen, hochstrebenden Fenster in der Kirche schienen ihn zu faszinieren. Nach der Reise fertigte er zunächst das Gemälde "Kirchenruine Oybin" (1812) an. Zehn Jahre später benutzte er die Kirchenarchitektur nochmals als Vorlage für das Kunstwerk "Huttens Grab" (1823/1824). Zudem porträtierte er den Bergfriedhof, auf dem einst die Mönche ihre letzte Ruhe fanden. Die Grabstätte ist übrigens heute noch erhalten und ist der einzige Bergfriedhof Europas, der kommunal bewirtschaftet wird. Das Werk "Klosterfriedhof im Schnee" (ca. 1819) wirkt düster und schwermütig, wie so viele Bilder von Caspar David Friedrich, der in diesem Jahr 250 alt werden würde. Anlässlich des runden Geburtstages fand bei meinem Besuch ein Festgottesdienst in den Ruinen der Kirche statt. Der Pfarrer beschrieb Friedrich als tiefgläubigen Menschen. Auch wenn er nie religiöse Symbolik verwendete. Für den Künstler sei Gott allgegenwärtig in der Natur gewesen und so hat sein Glauben mit den Mitteln der Landschaftsmalerei Ausdruck finden können. Darüber hinaus war Friedrich ein melancholischer Einzelgänger, der viele Schicksalsschläge erleiden musste, wie etwa den Tod seines Kindes. So könnte diese Ruinen, als Ort des Verfalls und der Vergänglichkeit, besonders mit seiner Gefühlswelt resoniert haben.
Nach Friedrich folgten viele weitere Künstler der Faszination Oybin. Sowie der bedeutende Romantikvertreter Carl Gustav Carus. Auch der Cottbuser Landschaftsmaler Carl Blechen (der Name Carl war wohl derzeit sehr beliebt) widmete sich dem sagenumwobenen Trümmerberg. Das Gemälde "Klosterruine Oybin" (ca. 1823) hängt heute in der Alten Nationalgalerie in Berlin. Der Oybin lässt sich zudem als zentrales Motiv in romantischen Gedichten, Theaterinszenierungen und literarischen Werken finden. Entstanden während der Gotik, wiederentdeckt während der Romantik und aufgearbeitet in der Gegenwart. Die Sanierungsarbeiten begannen 1992. In dem Prozess wurden auch Architekturteile ausgegraben, die schon lang unter dem Schutt verschwunden waren. Es wurde nichts zu den bestehenden Bauten hinzugefügt - alles, was vorzufinden ist, ist original so vorgefunden worden. Grade deshalb werden die Besuchenden gebeten, die Bauten nicht als Klettersteine zu benutzen. Mit Sandstein als Grundsubstanz wird unentwegt gegen den Verfall gearbeitet. Ein Rundgang auf der 365 Tage geöffneten Anlage lässt sich gut bis zu drei Stunden ausdehnen. Simone Hohlfeld, Gästeführerin auf dem Oybin, gibt dabei die Empfehlung, sich ruhig viel Zeit zu nehmen und die Fantasie spielen zu lassen. Wie es die Romantiker eben gemacht haben. Und dabei gäbe es nicht nur die Dichterromantik, die Malerromantik, sondern jede Person habe eine eigene, innere Romantik. Also Handy auf Flugmodus, Armbanduhr in die Hosentasche und auf in eine vergangene Welt!